Die Wildnis Neuenglands: Wandern auf dem Appalachian Trail

Greenville (dpa/tmn) - Mitten in der 100-Meilen-Wildnis von Maine steht er plötzlich auf dem Pfad. Schwerer Rucksack, zwei Stöcke in den Händen, Stutzen bedecken die Waden über den Stiefeln. Auf die Frage, ob er ein „Thru-Hiker“ sei, antwortet der Mann namens Matchbox: „Yeah.“

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Am Mount Katahdin, dem nördlichen Startpunkt des Appalachian Trail, sei er vor zehn Tagen losgelaufen - und er will sogar über das 2186 Meilen entfernte Ziel in Georgia hinauswandern: „Bis Neujahr will ich in St. Petersburg in Florida ankommen.“ Dann erzählt er noch, er habe bis vor kurzem bei den Marines in den US-Streitkräften gedient.

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Ein „Thru-Hiker“ also. Einer, der es wirklich wissen will. Laut der Appalachian Trail Conservancy, die sich um den Fernwanderweg im Osten der USA kümmert, haben im Jahr 2014 mehr als 2740 Menschen die gesamte Strecke zwischen den Südstaaten und Neuengland in Angriff genommen. Immerhin 729 von ihnen haben ihr Ziel erreicht.

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Wie Matchbox wirklich heißt, hat er nicht verraten. „Thru-Hiker“ verwenden meist einen Trailnamen, den sie sich selbst geben oder von Mitwanderern erhalten haben. Er mache halt gerne Feuer und werde daher „Streichholzschachtel“ genannt.

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„Häufig ist es eine Zeit der Selbstfindung oder des Übergangs im Leben, in der sich Menschen entscheiden, den AT laufen zu wollen“, sagt Lindsay Downing. Sie hat die Strecke vom Springer Mountain in Georgia zum Mount Katahdin 2011 in vier Monaten und 28 Tagen absolviert, Trail-Name: Shuffle. „Ich hatte damals eine schwere Knieverletzung überstanden und wollte mir beweisen, dass ich das kann“, sagt die 28-Jährige. Sie arbeitet heute in der „Gorman Chairback Lodge And Cabins“ des Appalachian Mountain Club (AMC).

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Die Lodge liegt mitten in der 100-Meilen-Wildnis zwischen den Orten Greenville und Milo. Die Gegend heißt so, weil Wanderer hier etwa 100 Meilen lang durch kaum berührten Gebirgswald laufen müssen, bis sie wieder eine geteerte Straße sehen. Der AMC, so etwas wie der Alpenverein der Appalachen, betreibt die Lodge.

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Irgendwo in der Nähe des Third Mountain muss auch Bill Bryson seinen Versuch, den Appalachian Trail zu meistern, abgebrochen haben. Der Bestsellerautor hat mit seinem 1998 erschienenen Buch „A walk in the woods“ - auf Deutsch: „Picknick mit Bären“ - viel zur gestiegenen Popularität des AT beigetragen. In den letzten Kapiteln beschreibt Bryson, wie er auf einer Staubpiste in der 100-Meilen-Wildnis einen Pickup mit Waldarbeitern anhält. Die Frage „Wo wollen Sie hin?“ beantwortet er mit „Egal. Hauptsache weg von hier“.

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Neben dem AMC bietet in Maine auch Maine Huts & Trails (MHT) ein Wegenetz mit Übernachtungsmöglichkeiten an. Vier Öko-Lodges gibt es schon, weitere acht sollen noch hinzukommen. Ziel der Organisation ist eine 290 Kilometer lange Hüttenwanderroute, die - etwa zwei Autostunden westlich der 100-Meilen-Wildnis - die Mahoosuc-Berge im Süden mit dem Moosehead-See im Norden verbindet. Mehrfach kreuzt das bestehende Wegenetz den Appalachian Trail.

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Wer als AT-Etappenwanderer einen eher alpinen Anspruch hat, sollte noch weiter westlich in Neuengland die Stiefel schnüren: in den White Mountains in New Hampshire, einem kargen Höhenzug. Acht Hütten und Lodges unterhält der AMC hier entlang einer 90 Kilometer langen Strecke, die unter anderem über den Mount Washington führt, mit 1917 Metern der höchste Gipfel im Nordosten der USA. Gut eine Stunde Fußweg davon entfernt liegt die „Lake of the Clouds Hut“.

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In ein paar Wochen wird auch Matchbox hier vorbeikommen, falls er seinen Versuch, den ganzen AT zu laufen, bis dahin nicht abgebrochen hat. Die Entschlossenheit in den Augen, die der wortkarge Mann auf dem schlammigen Pfad in der 100-Meilen-Wildnis gezeigt hat, lässt allerdings vermuten: Auch die steinigen White Mountains werden den durchtrainierten Ex-Soldaten kaum davon abbringen, einer der AT-Starter zu sein, die tatsächlich ihr Ziel erreichen.