Hotel aus Beton: Eine Nacht im Abwasserrohr
Bottrop (dpa) - Fünf Abwasserrohre im Bottroper Bernepark: Wer will, kann hier übernachten. Matratze und Betthupferl sind vorhanden im ersten Röhrenhotel Deutschlands. Gemütlich ist es auch. Ganz schalldicht sind die Betonteile allerdings nicht.
7772 ist der Code für Rohr 2. Ich tippe die Zahlen in die Tastatur, die eierfarbene Holztür zum Abwasserrohr schwingt mit einem lauten Knarren auf. Hier werde ich mit meinem Freund die Nacht verbringen. Eine Betonröhre. Drei Meter lang, 2,40 Meter im Durchmesser, 11,5 Tonnen schwer. Der österreichische Künstler Andreas Strauss hat im Bottroper Bernepark einen Ort für Alltagsflüchtlinge geschaffen: „Wer seine Ruhe haben will, kann ins Rohr gehen.“
Gemütlich sieht es darin aus. Auf dem Bett liegen zwei grasgrüne Bettlaken, zu Schlafsäcken zusammengenäht, zwei Wolldecken, darauf zwei kleine Tüten Gummibärchen. Die Wand vor Kopf ist mit weißen Menschenumrissen auf türkisfarbenen Hintergrund bemalt, eine Nachttischlampe spendet warmes Licht. Ich gehe rein, ziehe die Jacke aus und suche den Haken zum Aufhängen. Der fehlt. Dafür treffe ich Mitbewohner, die schnell das Weite suchen: Ein Käfer und eine Ameise.
„Man kann sich temporär, anonym und legal wegsperren“, erklärt Strauss die Idee des ersten Röhrenhotels Deutschlands. Reservieren muss man sein Bett im Internet, den Zugangscode bekommt man per SMS, eine Rezeption gibt es nicht. Jeder zahlt das, was er für richtig hält. Strauss sagt, es sei eine Art Spiel: Was ist es den Leuten wert, hier zu übernachten? Wie viel Respekt haben sie vor dem Kunstwerk? „20 Euro ist fair, mehr ist willkommen.“ Die Putzkraft müsse bezahlt werden, Minireparaturen fielen an.
Maximal drei Tage darf man Rohrbewohner sein. Der Künstler richtet sich nach einer Weisheit, wonach es mit Gästen wie mit Fisch ist: Nach drei Tagen fangen sie an zu stinken. Bis dahin kann man den blauen WC-Container im Wäldchen hinter den fünf Röhren aufsuchen.
Wir schließen die Rohr-Tür, legen uns aufs Bett und merken, wie das Urlaubsgefühl einsetzt - mitten in Bottrop. Seit wenigen Tagen hat das Parkhotel, wie es offiziell heißt, geöffnet. Es riecht noch etwa nach Farbe. 300 Reservierungen sind schon eingegangen, weiß Gregor Evers, Standortleiter des Berneparks und Betreiber des Hotels. Die A 42 rauscht in unmittelbarer Nähe, ein Güterzug rattert vorbei - schalldicht ist so ein Abflussrohr nicht.
Als es dunkel wird, überlegen wir, wer der typische Röhrenbewohner ist. Einen kennen wir. Er heißt Alexander, wohnt in Röhre vier und hat sich zwei Bier mitgebracht. Der Essener arbeitet in Bottrop und ist heute nach der Arbeit in die Röhre gekrochen: „Ich wollte einfach mal keine Bildschirme um mich herum haben und die Gedanken schweifen lassen.“ Und sonst? Betriebsausflüge? Fahrradfahrer, die auf dem Emscher-Radweg unterwegs sind? Gestresste Eltern? Ein lautes Klopfen an der Tür schreckt uns auf. „Entschuldigung, wir wohnen nebenan und kommen nicht mehr in unser Rohr“, schallt es von draußen.
Der Zugangscode des jungen Pärchens aus Rohr eins funktioniert nicht mehr. Zum Glück gibt es eine Notfallnummer unter der man Standortleiter Gregor Evers erreichen kann. Die beiden haben den Zettel mit der Nummer aber ebenso wie ihre Handys in der Röhre gelassen. Wir helfen aus, und zehn Minuten später steht der engagierte und auch zu später Stunde noch gut gelaunte Gregor Evers vor Röhre eins und behebt das Problem.
Die Nacht ist kalt. Wir träumen von rappelnden Güterzügen. Oder ist es gar kein Traum? Und wo ist noch mal die zusätzliche Decke? In dem Staukasten neben dem Bett. Auf der Klappe stehen aber unsere Rucksäcke. So kalt ist es vielleicht doch nicht. Ich setze erstmal eine Wollmütze auf.
Als die Sonne durch das Bullauge linst, werden wir wach. Das Restaurant im Bernepark öffnet erst um 11 Uhr, Frühstück gibt es aber bei der Bude die Straße runter.