Im Norden der Insel Ibiza jenseits des Trubels

Die Baleareninsel ist als Party-Destination bekannt. Das trifft zumindest auf den Süden zu. Doch der Norden des Eilands zeigt sich ursprünglich und ruhig.

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Las Dalias. „Reine Lebensmittel sind die, die mit Liebe und Respekt gezüchtet werden“, erzählt Aghasura. Das ist nicht ihr richtiger Name, sondern steht in der indischen Mythologie für „Schlangengöttin“. Die 58-jährige Stuttgarterin pendelt zwischen Goa in Indien und Ibiza. Auf dem Hippiemarkt Las Dalias auf Ibiza verkauft sie Heilsteine, Pendel und Tinkturen aus Krötenschleim. Am Nachbarstand gibt es Nüsse in gerösteter Form, weil die angeblich mehr Energie spenden. Die Welt der Magie und der alternativen Lebensformen findet man auch heute noch auf der Baleareninsel.

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Rund um die Orte San Carlos und San Juan im Nordosten haben sie sich angesiedelt, die Hippies. In den 60er- und 70er-Jahren kamen sie, weil das Leben frei und einfach war. „Niemand hat etwas gesagt, wenn man sich eine baufällige Finca hergerichtet hat und darin wohnte“, erinnert sich Aghasura. Eine Flasche Wein kostete 20 Pfennig — oder man bekam sie geschenkt. Die günstigen Lebenshaltungskosten verstärkten das Gefühl von Unabhängigkeit und zogen Leute aus der ganzen Welt auf die kleine Mittelmeerinsel. Heute ist das anders. Die Immobilienpreise gehören zu den höchsten in Spanien, und alles andere ist auch ein bisschen teurer als im restlichen Land.

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Vor allem in den touristischen Zentren des Südens, wie zum Beispiel an der Playa d’en Bossa. Dort hat vor ein paar Jahren ein regelrechter Hotelboom begonnen. Hinter schillernden Namen wie Ushuaia, Space oder El Devino verbergen sich aufwendige Vergnügungstempel — mit und ohne Hotelbetten. Aktuellster Neuzugang ist das erste Hard-Rock-Hotel Europas, ein Fünf-Sterne-Zauber mit eigener Bühne, auf der schon Kylie Minogue und Pitbull aufgetreten sind.

„2016 wird ein absolutes Spanien-Jahr, das gilt auch für Ibiza. Besonders stark nachgefragt werden moderne, lifestyle-orientierte Hotels“, sagt Sven Görrissen, Tui-Experte für Spanien. Das sei vor allem auf die schwächere Nachfrage nach Nordafrika und die Türkei zurückzuführen.

Doch Ibiza hat auch ein anderes Gesicht. Ein ruhiges. Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit findet man in den Dörfern des Landesinneren und an den Buchten der Nordküste. In diesem Teil der Insel ist das Remmidemmi der Pauschalurlauber so weit weg wie der Mars von der Erde.

Trotzdem ist man mit dem Mietwagen schnell dort: in der Cala Mastella, der Cala Xarraca oder der Cala de San Vicente. Die Gegend ist dünn besiedelt, auf ausgedehnten Feldern wechseln sich Oliven- und Mandelbäume ab. Wie früher leben die Menschen in diesem Teil der Insel auf verstreut liegenden Bauernhöfen. Nahe der Küsten gehen die Straßen meist in Schotterwege über. Doch der Weg bis zum Ende lohnt sich: Fast immer tun sich zwischen zerklüfteten Felsen Minibuchten auf — einige sind nur 50 Meter lang.

Irgendwo hinter hohen Gräsern ist dann ein einfacher Kiosk, oft betrieben von Einheimischen, die schon vor 50 Jahren dort waren. Oder es sind junge Leute, Rückkehrer aus Madrid und Barcelona, mit Sehnsucht nach dem einfachen Leben. Ihre Strandbars sind fantasievoll gestaltet und unterscheiden sich wohltuend vom Einheitsdesign der touristischen Zentren. Statt Champagner und Austern gibt es Orangensaft und Bocadillos — belegte Brötchen, die auf Ibiza mit Olivenöl und frischer Tomate eingerieben werden, bevor man sie mit Schinken oder Käse belegt. Die Strandliegen heißen noch Liegen und nicht Daybeds oder Bali-Betten und kosten nur ein paar Euro. Und statt Party-Beats hört man das Rauschen der Wellen.

Ähnlich beschaulich sind die Dörfer im Landesinneren. Besonders schön ist San Juan. Der kleine Ort wirkt fast wie eine Filmkulisse. Um die Wehrkirche aus dem 18. Jahrhundert gruppieren sich weiße Wohnhäuser. Traditionelle Restaurants mit typischer ibizenkischer Küche wechseln sich mit veganen Cafés ab, traditionelle Korbgeschäfte mit alternativen Läden.

In der Nähe hat auch Aghasura ihre Finca. So, wie die meisten ehemaligen Blumenkinder. Erst vor ein paar Jahren hat sie das Bilderbuch-Kleinod gekauft — dank einer größeren Erbschaft. Längst leben die Revoluzzer nicht mehr von der Hand in den Mund. Die meisten sind erfolgreiche Geschäftsleute. Jetsetter, die in London, Paris oder München einem lukrativen Erwerb nachgehen und sich im Sommer auf Ibiza treffen. Und wenn Hippie-Markt ist, tauchen sie noch einmal ein in ihre alte Welt, schlüpfen in fransige Lederklamotten, die Arme bis zum Ellenbogen mit Silberreifen und bunten Bändern behängt und verkaufen jede Menge esoterisch-spirituelles Zeug. Und am Ende des Tages steigen sie mit Kind und Kegel in einen nagelneuen Geländewagen und fahren in ihre schicken Landhäuser. „Heute ist das Leben teuer auf Ibiza“, sagt Aghasura. „Echte Hippies gibt es hier nicht mehr.“