Das weiße Gold der Alpen
Auf 18 Etappen durch zwei Länder: Der Salzalpensteig folgt auf 233 Kilometern den traditionellen Wegen des Salzes.
Franz Joseph Strauß lässt die Glocken läuten. Aber nicht etwa im Jenseits, sondern auf dem Hochfelln. Dort, auf dem Berg in den Chiemgauer Alpen, steht er, der Franz Joseph Strauß. Pudelwohl und quicklebendig. Mit zünftigem Filzhut und roten Backen. Mit Politik hat der Mann allerdings nichts am Hut. Der Namensvetter des berühmten Politikers ist der Messner der Gipfelkapelle. Zu besonderen Anlässen sperrt er das schwere Tor auf. Etwa, wenn sich hoher Besuch ankündigt. Statt auf diplomatischem Hochglanzparkett steht man dort auf einem Felsen mit Aussicht: Einheimische bezeichnen den Hochfelln gern als die Aussichtsterrasse der Voralpen.
Im Rücken das Chiemgau mitsamt Chiemsee, vor der Brust stolze Alpengipfel wie Großglockner, Watzmann oder Dachstein. Skurrile Begegnungen und heitere Geschichten sind das Salz in der Suppe jeder Wanderschaft. Erst recht auf einem Weitwanderweg. Und erst recht auf dem Salzalpensteig. Salz, das weiße Gold der Alpen, ist der rote Faden auf dem grenzüberschreitenden Weitwanderweg, der vor wenigen Monaten eröffnet wurde.
Jahrtausende lang prägte es die Region zwischen dem bayerischen Rosenheim und dem österreichischen Salzkammergut. Als wichtiges Konservierungsmittel sorgte es für Besiedelung und Handel, Wohlstand und sehenswerte Stadtzentren mit Prachtbauten. Motto: Flüssige Bauherren dank krümeligen Salzes.
Die einst immense Bedeutung des Alpensalzes ist an vielen Bezeichnungen abzulesen: Salzburg und Salzach etwa, Hallstatt oder Bad Reichenhall. Die Silbe „Hall“ geht entweder auf das keltische Wort hall für Salz zurück oder auf das germanische hallan für Salzkruste. Darüber streiten die Experten. Unstrittig ist, dass der Salzalpensteig durch eine hochinteressante Kulturlandschaft führt — der lukrative Salzabbau machte die Menschen erfinderisch.
Die angeblich ältesten Pipelines der Welt gehen auf den Salzabbau in den Alpen zurück. Die kilometerlangen Soleleitungswege, auf denen sie verlegt wurden, bilden viele Abschnitte auf dem Salzalpensteig. Auch durch unbeleuchtete Bergstollen geht es hindurch. Das einzige Licht in diesen Gängen ist das Licht am Ende des Tunnels. Prien am Chiemsee ist Start- beziehungsweise Zielort der 18 Etappen. Am flachen Seeufer lässt es sich prima warmlaufen — für höhere Aufgaben.
Die warten spätestens am Hochfelln. Mit seinen 1674 Metern Höhe ist der Berg die höchste Erhebung auf der gesamten Route, die ansonsten weitgehend moderate Abschnitte bietet und auch von durchschnittlich trainierten Wanderern bewältigt werden kann. „Der Steig ist auch für Hundehalter mit ihren Vierbeinern geeignet“, sagt Brigitte Zobel, die Wegmanagerin. Viele Anrufer würden sich speziell nach der Hundetauglichkeit der Strecke erkundigen.
Zu Füßen des Hochfelln, am Ortsrand von Grassau, steht das unscheinbare Museum „Salz & Moor“, das aber im Inneren mit bemerkenswerter Technik aufwartet. Die Solepumpstation in dem Gebäude pumpte von 1810 an Solewasser aus Berchtesgaden und Bad Reichenhall bis nach Rosenheim. Dutzende Kilometer über Stock und Stein, durch ausgehöhlte Baumstämme. Geniale Ingenieurskunst.
Apropos Pumpe: Spätestens auf dem Hochfelln ist der Kreislauf in Schwung. Die restlichen 15 Tagesetappen können in Angriff genommen werden. Es warten noch zwei der schönsten Seen der nördlichen Alpen: der Königssee und der Hallstätter See. Und drei der malerischsten Schluchten: Weißbachschlucht, Lammerklamm, Salzachöfen.
Dort, über den Dächern der Watzmann-Metropole, erstreckt sich einer der schönsten Soleleitungswege. In luftiger Höhe krallt er sich an den Fels. Im Herbst versüßt der Stuck, eine Berchtesgadener Spezialität, die Anstrengungen der Tour. Die süßen Gewürzsemmeln gibt es nur im Berchtesgadener Land. Und als sogenannte Tafel im Sechserpack. Die ideale Wegzehrung um einem Salz-Overkill auf dem Salzalpensteig zu begegnen.
Salz macht bekanntlich durstig, was eine der Ursachen sein könnte, weshalb der Bierkonsum in Oberbayern als überdurchschnittlich hoch gilt. Den Durst können Wanderer in zahlreichen Almhütten und urigen Restaurants stillen. Viele liegen direkt an der Strecke. Natürlich auch beim Nachbarn, denn rund ein Drittel des Weges befindet sich auf österreichischer Seite.
Auf den letzten Metern vor der Grenze, im Dorf Gmerk, verengt sich die Straße und ein echter Schlagbaum versperrt den Weg. Der Hang, mit Panoramablick ins Tennengau südlich von Salzburg, ist das Revier von Hans Meisl. Mit Wanderern hält er oftmals einen Plausch und erzählt ungebremst, wie in Nachkriegszeiten die Pfade ringsherum als Schmugglerwege genutzt wurden. Bohnenkaffee und Zigaretten wurden über die Grenze gebracht.
Wenn im Winter die Wanderer ausbleiben, wartet eine andere Betätigung auf den Senior: Hinter seinem Haus betreibt er den Rottenlift, einen der letzten privaten Skilifte in den bayerischen Alpen. Und das seit 50 Jahren.
Bergab geht es nach Österreich. Auf einem Weg namens Rumpelgasse. Doch keine Sorge, auch auf den letzten Etappen ist der Salzalpensteig gut begehbar und ausgeschildert. Das Deutsche Wanderinstitut hat ihn nicht zufällig als Premiumweg zertifiziert. Quasi wie auf Schienen, beziehungsweise auf Soleleitungswegen, geht es hinein ins Salzkammergut bis zum Hallstätter See. Im ältesten Salzbergwerk der Welt, hoch über Hallstatt, wird noch immer salzhaltiges Wasser zutage gefördert — die Sole. Um das Salz zu gewinnen, wird die Sole zum Dampfen gebracht. Die Schuhsohlen können auf dem 233 Kilometer langen Salzalpensteig auch mal ins Qualmen geraten. Da ist spätestens am Ziel in Obertraun eine deftige Brotzeit angesagt. Oder eine Jause, wie man in diesen Gefilden sagt. Ob Brotzeit oder Jause, egal, Hauptsache gesalzen.
Der Autor reiste mit Unterstützung des SalzAlpenSteig und -Touren e.V.