Schweiz: Wasserleitungen an Berghängen und beeindruckende Stauseen prägen die Landschaft im südwestlichen Wallis Die Spur des Wassers im Wallis
Von Claudia Kasemann
„In den See! In den See!“, heißt es im herrlichen Comic-Klassiker „Asterix bei den Schweizern“, bei dem zerlaufener Käse, (zu) hohe Berge und der Genfersee das humorige Gesamtbild eines eigenwilligen und naturverbundenen Völkchens komplettieren. 1970 erschien der Band, und er führt die tapferen Gallier mit mancherlei geschichtlicher Anspielung eben auch ins Wallis.
45 Viertausender und phantastische Ausblicke
Nicht von ungefähr. Denn die Region im Südwesten der Schweiz ist mit unverwechselbaren Gipfeln wie dem Matterhorn, den immer noch gewaltigen Gletschern und tiefen Gebirgsstauseen eine der landschaftlich spektakulärsten und touristisch lohnenswertesten Regionen des Landes. Immerhin 45 Viertausender finden sich im Wallis – das ist mehr als die Hälfte aller Berge mit über 4000 Metern Höhe in den Alpen.
Doch auch der sprachlichen und kulturellen Nähe wegen dürfte Asterix-Erfinder René Goscinny den Kanton für das Abenteuer seiner Comic-Helden ausgewählt haben. Denn die sind genussvolle Lebenskünstler – worauf sich französisch sprechende Schweizer mindestens ebenso verstehen, deutet Guide Luc Pignat mit wissendem Lächeln an, wenn er sagt, dass man im Wallis alles etwas entspannter angeht. Und lässiger, als es das bekannte Schweiz-Image vermuten lässt.
Besonders wichtig dabei sei die Kulinarik: „Wir lieben gutes Essen und guten Wein.“ Wovon reichlich produziert wird: Mit 5000 Hektar Weinbergen ist das Wallis nicht nur die größte Weinregion der Schweiz, sondern bietet auch eine beachtliche Rebsortenvielfalt. Zu ihr gehören einheimische Sorten wie Petite Arvine oder Cornalin. Im Unterschied zu anderen Anbaugebieten wird hingegen eher wenig exportiert. Vielleicht, weil man die guten Tropfen auch ganz gern selbst trinkt?
Um das ursprüngliche und besonders schöne Wallis zu erleben, sollte man allerdings einer anderen Flüssigkeit folgen: dem Wasser. Denn anders, als es die Winter-Schneemengen in den Bergen vermuten lassen, fällt insgesamt eher wenig Regen in der Region. Grund dafür sind die Berner und Walliser Alpen, die das dazwischen liegende Rhônetal mit seinen Nebentälern vor Niederschlägen oft wie Barrieren schützen. Seit Jahrhunderten gibt es daher ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem: Suonen genannte und ursprünglich hölzerne Wasserleitungen an Berghängen, nahe Weilern und Dörfern. Eine der schönsten ziert sogar den 100-Franken-Geldschein: die Suone von Ayent, der Wanderer folgen können.
87 Prozent Steigung:
Standseilbahn Richtung See
Nicht nur für dieses Thema ist das stille Trient-Tal ein idealer Ausgangspunkt. Beginnend in Martigny, ist es mit dem Mont-Blanc Express erreichbar für unvergessliche Panorama-Ausflüge. Zum Beispiel zum Emosson-Stausee, wo heute modernste Wasserwirtschaft betrieben wird. An der Mont-Blanc Express-Strecke liegen Örtchen wie Salvan, Les Marécottes und Le Châtelard. In letzterem befindet sich die Talstation der spektakulären VerticAlp-Standseilbahn mit einer maximalen Steigung von 87 Prozent. Einst transportierte sie Material und Arbeiter für den Bau des Emosson-Staudamms, jetzt werden auf der 1,3 Kilometer langen Strecke vornehmlich Ausflügler und Wanderer befördert. 700 Höhenmeter sind in nur 10 Minuten überwunden, und wer sich davon erst einmal erholen muss, kann das auf 1825 Metern Höhe im kleinen Bergcafé bei knusprigen Croissants und gutem Cappuccino – Frankreich und Italien sind nah. Per „Bimmelbähnchen“ und über eine weitere Ministandseilbahn geht es schließlich hinauf zum Emosson, dem zweitgrößten Stausee des Landes. Unterwegs eröffnen sich bei gutem Wetter fantastische Ausblicke in Richtung Mont Blanc-Massiv.
560 Meter breit und 180 Meter hoch ist die Staumauer, (erbaut zwischen 1969 und 1973) und Teil eines großen Wasserkraftwerkskomplexes, der sich zwischen der Schweiz und Frankreich erstreckt. Dafür wurde sogar die Landesgrenze verschoben, berichtet Guide Katrin Weber. „Denn der See gehörte zur Schweiz, seine Staumauer aber befand sich in Frankreich.“ Nur etwa ein Dutzend Vertragsseiten hätten im Jahr 1963 ausgereicht, um festzulegen, dass Frankreich auf das Gebiet verzichte und eine Ausgleichsfläche in der Nähe erhalte. „Heutzutage kaum vorstellbar“, sagt Katrin Weber und lacht. Sie führt Besucher durch das Innere des Damms, der 225 Millionen Kubikmeter Wasser hält. Ein touristisches Highlight für sich – auch wenn der See in erster Linie als Kulisse fürs Mont Blanc-Postkartenmotiv herhalten muss.
So geht es manch kleinem Ort im Wallis, dessen Schönheit angesichts der alles überragenden Präsenz von Touristen-Hotspots wie Zermatt oder Chamonix (auf französischer Seite) zuweilen unbeachtet bleibt. Roland Eberle und seine Familie wissen davon ein Lied zu singen, doch insgesamt ein frohes: Seit mehr als 30 Jahren führen sie das urige Hotel Balance, ein früheres landwirtschaftliches Anwesen, im Ort Salvan. Heute kommen Besucher gezielt in die einzige vegane Unterkunft am Platz, um großartige Natur und Stille zu genießen. Ein idealer Ort zur Entspannung: Yoga, Meditation und regionale Bio-Küche waren Eberle und seiner Familie schon wichtig, als der Begriff Well-being für Marketingzwecke noch nicht erfunden war.
Auch wenn der Weg zum schnellen Panorama-Foto bequem ist: Salvan, oder Les Marécottes mit seinem alpinen Zoo – überhaupt das Vallée du Trient – sind es wert, mit offenen Augen erkundet statt durchrauscht zu werden in Richtung Mont Blanc.
Schließlich sollte es Wallis-Reisenden am Ende nicht so ergehen wie Obelix, der von der landschaftlichen Schönheit seines Helvetien-Trips kaum etwas wahrgenommen hat. Und auf die Frage, wie die Schweiz denn so sei, wildschweinkauend antwortet: „flach“.