Im Kellerwald-Edersee entsteht die Wildnis von morgen

Bad Wildungen (dpa/tmn) - Uhu, Rotmilan oder Storch: Auch im Nationalpark Kellerwald-Edersee gibt es eine reichhaltige Tierwelt. Doch der eigentliche Star ist tatsächlich ein Baum.

Thomas Kull stapft gleich los - tief in den Wald hinein. Der Ranger führt regelmäßig Gruppen durch den Nationalpark Kellerwald-Edersee. Dort brüten Uhu, Rotmilan und Schwarzstorch. Spechte klopfen ihre Höhlen und Fledermäuse jagen nach Insekten. Doch der eigentliche Star hier im Norden von Hessen ist ein Baum: „Es dauert vier Generationen Mensch, um eine Generation Buche zu erleben“, findet Kull eindrückliche Worte.

Reiner Ur-Buchenwald empfängt den Besucher, den es seit der Eiszeit so nur in Europa gibt. In dem knapp 1500 Hektar großen Dreieck zwischen Kirchlotheim, Affoldern und Frankenau lässt Deutschlands waldreichstes Bundesland - 42 Prozent der Fläche sind mit Wald bedeckt - die Natur seit langem Natur sein. Dadurch heimste es zusammen mit den vier anderen Buchenwäldern Hainich, Jasmund, Müritz und Chorin den Weltnaturerbe-Status der Unesco „Alte Buchenwälder Deutschlands“ ein.

„Wir entfernen höchstens mal behutsam Nadelbäume, wenn wir nicht darauf vertrauen können, dass die Buchen den Boden von selbst zurückerobern, aber sonst verändern wir hier nichts“, erläutert Kull. So geht es auf alten Forstwegen auch mal unter umgefallenen Bäumen hindurch, die Käfer, Pilze, Schnecken und Würmer mit der Zeit entsorgen werden.

Der Weg, den Kull einschlägt, kreuzt den 68 Kilometer langen Urwaldsteig, den 158 Kilometer langen Kellerwaldsteig und folgt ein Stück der kurzen Hagensteinroute, die zum Panoramablick „Loreley vom Edersee“ ins Tal der oberen Eder führt. Bald biegt er aber auf enge, kaum sichtbare Trampelpfade ab.

Wenige Meter weiter ist ein bizarrer Knüppel-Buchenwald zu sehen, der auf Tonschiefer und Grauwacke Wind, Wetter und Wildbiss trotzt, ein Stück Urwald auf einem der mehr als 50 Berge und Kuppen des Nationalparks. Das Gestein, in den sich die uralten Buchen verkrallt haben, entstand vor rund 300 Millionen Jahren aus Bodensedimenten der urzeitlichen Meere und enthält nicht selten Fossilien. Hier danach zu suchen, ist allerdings nicht erlaubt. Im Naturpark sind Touristen nur als Naturgenießer gern gesehen, die nicht vom Weg abgehen.

Die schmalen Pfade passieren verschwiegene Quellgründe, in denen Kleinstlebewesen wie die Dunkers Quellschnecke ihr Auskommen finden und sich die Larven des Feuersalamander entwickeln. Nur Vögel sind kaum zu hören. „Wir machen zu viel Krach“, erklärt Kull deren Abwesenheit.

Dass dem nordhessischen Bergland so viele urige Rotbuchen und ein paar knorrige Eichen erhalten blieben, hat vorrangig mit dem Menschen zu tun. Die siedlungsfernen Wälder mit meist felsigem und zum Teil steilem Grund dienten bis Mitte des 19. Jahrhunderts den Fürsten zu Waldeck und Pyrmont und später den Ländern Preußen und Hessen als Jagdrevier. „Da wurden höchstens mal Kastanien gepflanzt, um damit Wild anzulocken“, erklärt der Ranger.

An einigen Stellen haben die Buchen sogar das stolze Alter von 260 Jahren erreicht. Und es wächst nach, was nachwachsen soll, damit Europas Urwald sich wieder ausbreitet. „Als ich nach fünf Jahren wieder in einem Waldstück war, habe ich es fast nicht wiedererkannt“, erzählt Kull. Auch wenn es nicht alles Buchen waren, die da keimten, ist er sich sicher: „Wenn wir der Natur ihren Lauf lassen, wird sich die Rotbuche letztlich wieder durchsetzen.“

Informationen: Nationalpark Kellerwald-Edersee, Laustraße 8, 34537 Bad Wildungen (Tel.: 05621/75 24 90, E-Mail: info@nationalpark-kellerwald-edersee.de).