Freiräume werden knapp Jenseits des Berghains - Berlin ringt um sein Nachtleben
Berlin (dpa) - Berlin, ein einziger großer Geheimtipp, das war einmal - in den wilden 90er Jahren nach dem Mauerfall. Dann kamen der Touristenansturm, die Billigflüge und die Junggesellen-Abschiede. Die Clubcommission zitiert den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger: „Der Tourist zerstört, was er sucht.“
Klaus Lederer ist 42, beim Ausgehen in Berlin ist das egal. Der neue Kultursenator war und ist Clubgänger. Das weiß die Berliner Clubszene. Ihr Verband, die Clubcommission, hat Lederer aufs Podium geladen. Ob Orte wie das Berghain, das About Blank oder der Südblock: Das Berliner Nachtleben hat einen legendären Ruf. Mittlerweile ist die Stadt teurer geworden. Die Mieten steigen, die Investoren lauern und die Nachbarn in den Eigentumswohnungen mögen oft keinen Lärm.
Das Gretchen etwa liegt in einem Kreuzberger Gewerbegebiet, dessen Verkauf an einen Investor gestoppt wurde. Auf der Bühne des Clubs erklärt Lederer seine Sicht. Der neue rot-rot-grüne Senat ist erst wenige Wochen alt. Beim Thema Wohnen deutet sich ein Kurswechsel aus, beim Nachtleben auch?
Lederer sagt, der „Boden der Stadt“ sei härter umkämpft. „Ich bin Linker, insofern kann ich auch sagen: Das Problem heißt Kapitalismus.“ Die Spielräume, die eine Stadt habe, seien überschaubar. „Da tritt jetzt David gegen Goliath an“, so Lederer. „Wir werden um jeden Freiraum kämpfen müssen.“
Dimitri Hegemann (62) kommt auf die Bühne. Bei seinem Vortrag wird es nostalgisch: War es bei der Love Parade wirklich so voll wie auf dem Bild? Hegemann brachte einst den Techno aus Detroit nach Berlin und öffnete den Club Tresor, erst nahe dem Potsdamer Platz, dann im riesigen Kraftwerk Mitte. „Razzia im Tresor - ist Ihre Tochter auch dabei?“, titelte eine Zeitung zu den wilden Zeiten. Gerade plant Hegemann eine Ausstellung über Berlin und Techno anno 1991.
Überhaupt, die Berliner Legendenbildung. Stoff für Erlebnisberichte bieten gerade „ Die neuen Sex-Partys“, eine Titelgeschichte des Stadtmagazins „Tip“. Noch eines der harmlosen Besucher-Zitate darin: „Ich mag es einfach, leicht bekleidet herumzulaufen.“ Das Magazin „Ex-Berliner“ gibt Tipps jenseits des Berghains, der bekanntesten Adresse. Schwarz tragen und den dortigen Türsteher fürchten, das sei doch was für Touristen und Amateure.
Beim Abend im Gretchen geht es um andere Sorgen: den teuren Schallschutz oder Planungssicherheit. Die Clubs machten früher damit Werbung, was für ein Wirtschaftsfaktor sie sind. Heute wollen sie gerne als Kulturschaffende wahrgenommen werden so wie Opern und Theater. „Ja, wir machen Kultur!“, sagt Gretchen-Chefin Pamela Schobeß. Sie wünscht sich in Berlin einen zentralen Ansprechpartner für die Clubs, ähnlich wie beim Atelierbeauftragten für Künstler.
Katja Lucker, die Chefin des beim Senat angesiedelten Musicboards, will in die Zukunft gucken: Wie solle die Stadt sein - und wie solle sie auf gar keinen Fall sein. Namen nennt sie da nicht, sonst kriege sie Ärger. Sie hält es für eine Falle, bei der Kreativwirtschaft nur auf die Ökonomisierung zu gucken. „So funktioniert aber eine coole Stadt nicht.“
Im Publikum sitzt Marcel Weber, der Chef des „ Schwuz“, einer Adresse für Schwule und Lesben, die von Kreuzberg nach Neukölln gezogen ist. „Es läuft sehr gut“, sagt er. Im selben Viertel kann man das „ Agora Collective“ finden, einen experimentierfreudigen Raum etwa für Tanz-Performances. Ein internationaler Ort. Dass so viele Ausländer die Stadt entdeckt haben, sieht Weber als Bereicherung. Und: „Es gibt noch so viele geheime Ecken in Berlin.“