Kunst am Zug: Jerusalems historischer Bahnhof wird Freizeitstätte

Jerusalem (dpa/tmn) — Vor 15 Jahren fuhr der letzte Zug ab — jetzt soll Jerusalems alter Bahnhof neu eröffnet werden. Statt Eisenbahnen gibt es auf dem Gelände künftig Kunstausstellungen und Kulturveranstaltungen.

Noch sieht alles nach Baustelle aus: Nur gut einen Kilometer von Jerusalems Altstadt entfernt türmen sich Holzlatten zu meterhohen Stapeln auf. Dutzende Arbeiter fräsen, bohren und hämmern in der Mittagssonne, ein Kran transportiert tonnenschwere Lasten hin und her — bald soll das Gebäude des historischen Bahnhofs in neuem Glanz erstrahlen. Über die Schienen werden Holzplateaus montiert sein, und statt Waggons wird es auf dem Gelände vor dem Gebäude begehbare Rechtecke aus Glas geben.

Das zumindest ist der Plan, wenn es nach dem in Jerusalem geborenen Unternehmer und Initiator Avi Mordoch geht. Vor acht Jahren hat der 52-Jährige das Projekt angestoßen. Unwiderstehlich sei der Gedanke gewesen, sagt Mordoch, 4000 Quadratmeter Brachland im Herzen Jerusalems in eine attraktive Freizeitstätte zu verwandeln. „Ich will, dass dieser Komplex zu dem Treffpunkt schlechthin wird.“

Neben einem Infocenter zur Geschichte des Bahnhofs und einer Galerie sind drei Restaurants vorgesehen sowie eine Sportbar und Spielmöglichkeiten für Familien mit Kindern. Hinzu kommen ein Kunst- und Handwerksmarkt, ein Wochenmarkt und ein Sportgeschäft, an das ein Verleih für Elektrofahrräder und Segways angebunden sein soll. Darüber hinaus soll es ein Kursangebot geben, das Yoga, Pilates, Tanzen und Kochen umfasst.

Vor der offiziellen Eröffnung im Mai soll eine Ausstellung zum Thema „120 Jahre Israelische Eisenbahn“ die ersten Schaulustigen anlocken. Anschließend werden junge Kunststudenten ihre Werke in dem denkmalgeschützten Bahnhofsgebäude zur Schau stellen.

Zusammen mit anderen Einrichtungen wie der Cinematheque, dem Khan Theater oder der Eventlocation „Sultan's Pool“ bildet das Angebot auf dem historischen Bahnhofsgelände im südlichen Baka-Viertel eine einzigartige Kulturmeile durch die Stadt. Doch was Mordoch als Aufwertung der Nachbarschaft verstanden wissen will, ruft unter Bewohnern Skepsis hervor. Teure Freizeitaktivitäten in einer der ärmsten Städte Israels — in wessen Interesse ist das? „Wir richten uns nicht nur an Touristen“, sagt Mordoch. „Aber 3,4 Millionen Besucher dieser Stadt zu ignorieren, wäre verschenktes Potenzial.“

In welche Richtung sich das Vorhaben entwickeln könnte, verrät ein Blick nach Tel Aviv-Jaffa. Dort entstand vor drei Jahren — ebenfalls auf den Schienen des ehemaligen Bahnhofs in Jaffa und unter Mordochs Anleitung — eine Vergnügungsmeile mit Restaurants und nicht gerade preiswerten Boutiquen.

Umgerechnet drei Millionen Euro wurden bislang in die Neugestaltung des Bahnhofs in Jerusalem investiert. Ein nicht unerheblicher Teil durch die Stadtverwaltung selbst. „Vor fünf Jahren habe ich mir vorgenommen, Jerusalem wieder zur Kulturhauptstadt des Landes zu machen“, sagt Bürgermeister Nir Barkat.

Seitdem Jerusalems Bahnhof 1998 geschlossen wurde, diente das verwahrloste Gebäude Obdachlosen als temporäre Unterkunft und etlichen Sprayern als Aktionsfläche. Nur am Rande organisierte die Stadt alle paar Monate Besucherattraktionen wie das jährliche Bier-Fest oder die internationale Eis-Show. Eine geeignete Zwischennutzung des Geländes kam nicht zustande.

Der Pachtvertrag zwischen Mordoch und dem Grundstücksbesitzer, dem nationalen Eisenbahnunternehmen, läuft über zehn Jahre. In dieser Zeit, so hoffen Mordoch und seine Partner, werde das Projekt nicht nur Touristen anziehen, sondern auch von der lokalen Kreativszene angenommen. Vor den wahrscheinlicheren Widersachern, den Ultraorthodoxen, fürchtet sich Mordoch nicht. „Die werden sich nicht beschweren, immerhin servieren wir hier bald auch koscheres Essen.“