Rotierende Schmucksteine - Kreatives Design aus Island

Reykjavik (dpa/tmn) - Isländisches Design beschränkt sich nicht auf Pullover mit Zickzack- und anderen Mustern - auch wenn die Wolle ein wichtiger Werkstoff für Künstler und Kreative ist. Die Designer sind jung, haben ungewöhnliche Ideen - und ein dankbares Publikum.

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Schmutzige Fingernägel, ein Pflaster über der Fingerkuppe, raue Stellen überall: Kjartani Erni Kjartanssyni hat die Hände eines Handwerkers. Er war mal Installateur. Aber schon seit mehr als einem Jahrzehnt gehört er zu den beliebtesten Schmuckdesignern in Island. Zusammen mit Ástthóri Helgasyni betreibt er das Ladengeschäft „Orr“ in der Bankastræti, der belebten Einkaufsstraße im Zentrum Reykjaviks. Dort verkaufen die beiden nicht nur ihre Kreationen - hier haben sie auch ihr Studio.

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Im Keller des kleinen Ladens ist es eng. Er dient als Küche, Lager und Werkstatt. Beide Designer haben hier ihre Werkbänke, beide fertigen Schmuckstücke aus Silber, Gold und Platin. „Manchmal kann man gar nicht sagen, wer das eine und wer das andere gemacht hat“, sagt Kjartani. Ihre Stücke entstehen im ständigen Austausch. Eines aber haben die meisten Kreationen gemeinsam: „Es bewegt sich etwas“, sagt Ástthóri.

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Zum Beispiel bei ihrem Bestseller, einem Kettenanhänger: In einem Kreis aus Silber ist ein Schmuckstein eingeschlossen, der sich in alle Richtungen dreht. „Er ist an keiner Stelle am Silber befestigt“, sagt Kjartani. Und dennoch fällt er nicht aus dem filigranen Rahmen. Als Ring in den Dimensionen einer Hand haben sie das Werk ebenfalls im Angebot - doch keiner von beiden verrät den Trick des Designs.

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Bewegung ist auch in den Drahtkörbchen aus Silber, in denen sich kleine, künstliche Diamanten in alle Richtungen drehen. Kjartani holt einen Ring aus der Vitrine, der aussieht wie ein Pilz. Das Dach scheint mit einer Feder am Ring befestigt zu sein, dadurch gerät er in Schwingung, sobald die Trägerin sich bewegt.

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„Wir sehen uns nicht als Designer“, sagt Ástthóri. „Wir sind Goldschmiede, das haben wir gelernt.“ Und damit sich ihre Sachen verkaufen, müssen sie ungewöhnliche Schmuckstücke anbieten. „Ich kann mich nicht hinsetzen und einen Ring aufzeichnen“, sagt Kjartani. Vielmehr kommen ihm die Ideen an seiner Werkbank. „Wir probieren aus, stellen etwas her und verwerfen es dann wieder.“ Dabei entstehen Ringe, Ketten, Armbänder und Ohrringe, die an stilisierte Korallen oder Blumenbouquets erinnern und Fans in der ganzen Welt haben.

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Die beiden Designer sind keine Ausnahme in Island: Egal, ob man sich für Grafiken, Schmuck, Kleidung, Kochutensilien oder Möbel interessiert - in der Hauptstadt Reykjavik findet man für jeden Geschmack hochwertige und originelle Designerstücke. Allerdings erst seit jüngerer Vergangenheit: „Wir haben keine lang gewachsene Szene, in der sich junge Designer etablieren und erstmal bei den alten Hasen lernen können“, sagt Halla Helgadóttir, Chefin des Iceland Design Centers. Wer eine gute Idee hat und in Serien produzieren kann, versucht sich mit einem eigenen Geschäft.

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Bis vor ein paar Jahrzehnten gab es im Isländischen nicht mal ein Wort für Design. Noch heute haben die Kreativen keine Marketing-Abteilungen, keinen Vertrieb und keinen Chef, der über die Finanzen wacht, sagt Halla. „Aber immer kennt jemand jemanden, der den Künstler kennt.“ Und dann brauche man nur kurz anzurufen, um eines der Werke zu erstehen. Viele Künstler haben eine Nische gefunden auf der Insel, die nur gut 320 000 Einwohner zählt.

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Erstlingswerke stellt zum Beispiel Sigridur Sigurjónsdóttir in ihrem Spark Design Space aus. Die frühere Professorin der Reykjavik Arts School hat sich vor ein paar Jahren mit ihrer Galerie selbstständig gemacht, in der sie zu Beginn vor allem die Werke ihrer Absolventen zeigte. „Oft haben sie ihre Abschlussarbeiten weiterentwickelt, und dabei haben wir ihnen geholfen.“ Die zentrale Lage in einer Seitengasse der Haupt-Einkaufsstraße sei der Garant, dass auch die Werke der jungen Künstler ihr Publikum finden.

„Außerdem ist Sigridurs Design Space ein Treffpunkt für junge Künstler“, sagt Designerin Thórunn Arnadóttir. Auch eines ihrer Werke hängt hier an der Wand: eine Uhr, die man als solche nicht gleich erkennt. „Sie hat weder Zeiger noch Ziffern, und sie hat auch kein normales Uhrwerk“, erklärt die junge Frau. Stattdessen: Holzperlen, die über einen gezackten Stahlkreis laufen. „Zwei goldene Kugeln symbolisieren Mitternacht und zwölf Uhr mittags, jede Stunde zeigt eine weiße Perle an.“ Alle fünf Minuten fällt eine Kugel von dem Stahl-Objekt, das sich um die eigene Achse dreht.

Eine Wand der Galerie ist für aktuelle Ausstellungen reserviert. „Ich versuche, von allen bisherigen Schauen eine kleine Kostprobe zu behalten, damit sich Designfreunde verschiedene Dinge anschauen können“, sagt Sigurjónsdóttir. Darum ist auch das Untergeschoss inzwischen eine Ausstellungsfläche, für die eigenwilligen Holzstäbe von Brynjar Sigurdharson oder die Textilien und Snowboards von Katrin Olina Petursdottir. „Manchmal verschwinden Besucher eine Stunde in unserem Keller und schauen sich alles ganz genau an“, sagt sie.

Oder sie testen einige der Werke - zum Beispiel die Seehunddecke. Die stammt vom Designerkollektiv Vík Prjónsdóttir und sieht aus wie ein überdimensionierter Strampler für Erwachsene. Sie hält Füße, Beine und den Kopf warm, die Hände kann man einmummeln oder aus der Decke herausnehmen - etwa zum Lesen oder Stricken. „Sie ist perfekt, um damit auf dem Sofa zu liegen“, sagt Pálsdóttir. „Und das Beste: Man kann mit ihr sogar aufstehen, wenn jemand an der Tür klingelt.“ Klingt praktisch und ausgefallen - typisch Design aus Island eben.