Schweiz: Einstein, das zweite Wunder von Bern?
Die Hauptstadt ist besser als ihr Ruf – und will sich modern präsentieren. Mit Hilfe der Relativitätstheorie.
Düsseldorf. Der Mann, der aus einem Fenster des Hauses Nr. 49 auf Berns Kramgasse blickt, ist unverkennbar Albert Einstein. Das lebensgroße Foto soll daran erinnern, dass er vor 105 Jahren genauso auf die Gasse blickte, während er darüber nachdachte, was die Welt physikalisch im Innersten zusammenhält.
Guten Gästen aus Deutschland drücken die Fremdenverkehrswerber der schweizerischen Bundeshauptstadt gern die Film-DVD "Das Wunder von Bern" in die Hand - als Erinnerung an die legendäre WM von 1954, aber auch als Wink mit dem Zaunpfahl.
Seitdem der Strom der Schwarzgeld-Touristen wegen der neuen deutsch-schweizerischen Absprachen verebbt, hofft man auf ein neues "Wunder von Bern", auf mehr deutsche Städtetouristen. Dafür soll vor allem Einstein sorgen. Es hat lange gedauert, bis das Haus, in dem das Genie von 1903 bis 1909 wohnte, unter Schutz gestellt wurde. Erst 1979 erwarb ein Verein das Haus, und erst 2005, zum 100. Geburtstag der Relativitätstheorie, fing man damit an, alles so herzurichten, wie es zu Einsteins Zeit aussah.
Inzwischen hat Kramgasse49 im Jahr 33 000 Besucher. Viele begreifen da zum ersten Mal, was es mit der Relativitätstheorie auf sich hat. Noch erfolgreicher war eine Einstein-Ausstellung. Nachdem sie 350 000 Besucher angelockt hatte, wurde ein Einstein-Museum daraus gemacht. Der Schlüssel des Erfolgs liegt wohl darin, dass der Geistesgigant mit all seinen menschlichen Schwächen dargestellt wurde.
Manch einer findet da Trost in der Hoffnung, dass auch Menschen mit Schwächen große Stärken haben können.
In Bern wird mit Briefen, Bildern und Dokumenten belegt, dass dem 1879 in Ulm geborenen Sohn eines Bettfedern-Händlers wohl niemand irgendeine Karriere zugetraut hätte. Der Bub war ein Spätentwickler, mit drei Jahren konnte er noch nicht richtig sprechen. Der Junge war ein Sonderling und Einzelgänger. Er wollte nicht, wie damals gang und gäbe, mit anderen Kindern Soldat spielen, blieb lieber für sich.
Später musterte ihn das schweizerische Bundesheer aus, wegen "Krampfadern, Plattfüßen und Schweißfüßen". Aber mit zehn Jahren las er schon naturwissenschaftliche Bücher. Kurz vor dem Abitur brach er die Schule ab. Bei der Aufnahmeprüfung am Polytechnikum in Zürich fiel er durch.
Aber dann wurde aus dem "Versager" doch noch etwas. Einstein holte sein Abitur nach. An der Züricher Uni schwänzte er viele Vorlesungen. Ein Kommilitone gab ihm seine Vorlesungsmitschriften. Nach einem miesen Examen war Einstein zwei Jahre arbeitslos und musste sich mit Mathematik-Stunden durchschlagen. Dann bekam er einen Job als "technischer Experte III.Klasse" beim Patentamt in Bern mit 3500 Franken Jahresgehalt.
"Ich bin ein eidgenössischer Tintenscheißer mit einem ordentlichen Gehalt", schrieb er in einem Brief, der in der Ausstellung zu sehen ist. Auch sein Privatleben war irgendwie chaotisch. 1902 bekam er von seiner Studentenliebe Mileva Maric eine uneheliche Tochter. Das "Lieserl" wurde zur Adoption freigegeben. Erst mit dem Gehalt des Berner Patentamts konnte Einstein sich leisten, zu heiraten und die Wohnung in der Kramgasse zu mieten.
Gerade wird eine Wohnung im Nebenhaus angeboten, für 1750Franken im Monat. Die Kramgasse ist heute eine "In"-Straße, deren Mieten sich nur Besserverdiener leisten können. "Da ging mir ein Licht auf", schrieb Einstein über den Augenblick im Jahr 1905, als er seine "spezielle Relativitätstheorie" fand. 1922 bekam er den Nobelpreis für Physik.
Nun wollte alle Welt ihn haben. Das Einstein-Haus und das Museum zeichnen das Bild eines Mannes, der sich für den Frieden und gegen Adolf Hitler engagierte, sich aber am Ende gegen den Vorwurf wehren musste, dass seine Relativitätstheorie nicht nur die Entstehung der Welt erklärte, sondern auch die Atombombe ermöglichte.
Durch die sechs Kilometer langen Laubengänge der Altstadt mit den vielen edlen oder skurrilen Geschäften schlenderten schon Einstein und seine Frau Mileva, vor ihnen schon Goethe.
Vorbei an der "Zytglogge", dem ehemaligen Stadttor, das seit 600 Jahren eine Uhr beherbergt, die rasselnd, ächzend und quietschend die Stunde schlägt und einen goldenen Hahn und weitere Figuren in Bewegung setzt.
Bern ist wie zu Einsteins Zeiten eine gemütliche Stadt. Es geht entschleunigt und "easy" zu. Es gibt ein Rauchverbot in Kneipen, aber man richtet den Rauchern vor dem Lokal Sessel ein, die mit Schafsfellen gegen Kälte ausgelegt sind. Die Preise sind hoch, aber es gibt fast überall auch halbe Portionen. In vielen Kellern der Altstadt haben sich Musiklokale und kleine Theater eingerichtet.
33 Bars, Cafés und Discos locken die Nachtschwärmer. Das "Gluglu" gilt als Treff der schönsten Mädchen, die schrägen Typen sind in der "Formbar" heimisch. Wie modern Bern sein kann, wird spätestens im historischen "Kornhauskeller"-Restaurant klar. Da gibt es einen Wickeltisch auf der Herrentoilette. Nicht alles in Bern hat Patina.
Als die altgedienten Bären, Berns Wappentiere, eingingen, wurde schnellstens ein neues Gehege gebaut. Da gefällt es den neuen Bären so gut, dass sie schon zweimal Nachwuchs bekamen.
Jetzt haben die Berner allerdings ein Problem: Viele Staatsbesucher kommen mit einem Bären als Geschenk im Gepäck. Die Stadt musste schon für einige Bären dringend Asyl in den umliegenden Zoos besorgen.