Schweiz: Kuh Cora "mäht" den Golfplatz
Auf dem 18-Loch-Platz in Arosa ist alles anders. Dort arbeiten Greenkeeper Hand in Klaue.
Graubünden. Sumpfgras frisst Kuh Cora besonders gerne. Gleich neben der Spielfläche von Bahn 18 hat sie sich ein saftiges Büschel ausgesucht. Genüsslich rupft sie daran herum. Der Golfer in weißer Hose und grünem Polohemd beeindruckt Cora nicht. Ein Stück weiter den Hügel hinauf setzt er zum Schlag Richtung Grün an, während sich die Kuh mitten auf die Spielbahn legt.
Head-Greenkeeper Aldo Rubitschon weiß, was ihm blüht, wenn er am Morgen nach dem Besuch von Cora und ihren 59 Artgenossinnen seinen Golfplatz in Arosa im Schweizer Kanton Graubünden betritt. Schnell weichen die Lachfalten in seinem von der Sonne gegerbten Gesicht einer tiefen Zornesfalte. Zentimetertief haben sich die Klauen der 700-Kilo-Tiere in die Erde gedrückt.
Die Fläche zwischen Abschlag und Loch gleicht einem Kartoffelacker. Große Kuhfladen hat die Herde zudem hinterlassen. In wenigen Stunden kommen die Golfer. Für sie müssen Aldo und sein Team den Platz in Ordnung bringen.
Um Sieben, gerade wenn die Sonne hinter den Bergen aufgeht, treffen sich die vier "Greenys" zum Dienstbeginn. Aldo Rubitschon, 63 Jahre alt, aber "nur auf dem Papier", wie er sagt, ist seit 26 Jahren Head-Greenkeeper in Arosa. Er verteilt die Aufgaben. Silvan Büchel, Steppi Tarnutzer und Caspar Giesler wissen, was ihnen nach einer Kuh-Nacht bevorsteht: "Pizzas" aufsammeln. Kuhfladen "putzen" - so nennen sie es.
Mit Schaufel und Schubkarre ausgerüstet, machen sich die jungen Männer auf die Suche, die Kappen zum Schutz vor der Sonne tief ins Gesicht gerückt. Meter für Meter laufen sie über den Platz und halten Ausschau nach tierischen Hinterlassenschaften - und nach so manchem 19. oder 20.Loch, das die Kuhklauen im Boden hinterlassen haben.
Mit einem Schraubendreher stechen die Greenkeeper neben den Tritten in die Erde und drücken sie hoch - so weit es eben geht. Den Rest füllen sie mit Sand auf. Golfspieler verlangen einen ebenen Platz. 25 bis 27 Kubikmeter Kuhfladen kommen pro Sommer zusammen. Das sind sieben bis acht volle Schubkarren je Sammelmorgen. "Scheißkacke", brummelt Aldo Rubitschon. Aber keine Kühe, kein Golfplatz. So ist das in Arosa.
Seit jeher war das Gebiet des 18-Loch-Platzes etwas oberhalb der Stadt Abend- und Nachtweide für die Herde der angrenzenden Alp Maran. Um den Tieren ihr Futter nicht wegzunehmen, sollte das auch nach dem Bau der Anlage so bleiben. Per Vertrag gilt das bis heute: Das hohe Gras zwischen den Bahnen gehört den Kühen. Dort dürfen die Greenkeeper nicht mähen - dafür aber Kuhfladen aufsammeln.
Der ganze Mist hat jedoch etwas Gutes: "Öko-Head-Greenkeeper" nennt sich Aldo Rubitschon. Darauf ist der Mann mit dem faltigen Lausbuben-Grinsen stolz. Bis zum Ende der Saison lagern die Fladen in Mischdeponien. Damit düngt der 63-Jährige im Herbst den Platz. Im Winter üben Langläufer auf Bahn Acht Während seine "Greenys" putzen, hat Aldo andere Aufgaben.
Über Nacht hat es gefroren. Bei jedem Schritt knirscht das Gras unter Aldos Schuhsohlen. Mit dem Golfcart fährt er über schmale Wege hinauf zum höchsten Punkt des Platzes, umgeben von schneebedeckten Dreitausendern. Mit einer langen Rute wischt er über das Gras fast wie mit einem Besen.
Kleine Wassertröpfchen zerstäuben glitzernd in der Sonne. So taut er das Grün ab, die kurzgemähte Fläche rund ums Loch und das Fähnchen. Dann trocknet sie schneller, und die Golfer können eher spielen. Für den stahlblauen Himmel über den Bergen hat Aldo morgens keinen Blick. Der Platz muss fertig werden.
Ein Greenkeeper zu sein auf 1850 Metern über dem Meeresspiegel ist eine Herausforderung. Aldo arbeitet nach dem Rhythmus der Natur. "Arbeit nach Plan geht nicht", sagt er. Frost im Sommer ist nicht ungewöhnlich in dieser Höhe. Fünf bis 25 Zentimeter Schnee im Juli auch nicht. Das Wetter in den Bergen bringt eine Menge Extraarbeit mit sich. Lange und schwer lasten Schneemassen im Winter auf dem Gras. Die Folgen müssen die "Greenys" beseitigen.
Die Rechen von Steppi Tarnutzer und Silvan Büchel kratzen über das Gras auf Bahn Acht. Fast mitleidig betrachten sie die Halme. Ganz braun sind sie dort. An vielen Stellen kommt die Erde durch. Etwa so, als hätte ein Anfänger den Abschlag geübt und dabei Löcher in den Boden gehauen. Weit gefehlt. Und diesmal sind auch die Kühe nicht Schuld.
Genau über Bahn Acht führt im Winter die Übungsstrecke für Langläufer. Jetzt ist Handarbeit gefragt. Ausrechen, Düngen, und neue Samen auf die abgestorbenen Stellen streuen - auf allen Abschlägen, Spielbahnen und an den Löchern. Steppi und Silvan wissen: Mit dieser Arbeit verbringen sie auch die nächsten Tage. Danach müssen sie mähen. Die Kühe können nicht alles fressen.
Eine Stunde später ist Aldo am letzten Grün angekommen. Loch Nummer12 ist sein Loch: "s’Rubliloch". Er selbst hat es entworfen und angelegt, als der Platz zum 18-Loch-Platz ausgebaut wurde. Hier verweilt der 63-Jährige. Durch eine Lücke in den Tannen blickt er auf die umliegenden Berge. Manchmal denkt er an den Winter. Dann arbeitet er dort oben als Skilehrer. Aldo atmet die kühle Luft ein, die nach feuchter Erde riecht. Hinter ihm liegen 77 Hektar Golfplatz. Mit dem Platz ist er verheiratet. Das sagt er selbst.
Während der Chef sein letztes Green abtaut, kommen die ersten Golfer auf den Platz. Sie sind froh, dass die Kühe endlich "gemäht" haben. Jetzt müssen sie ihre Bälle im hohen Gras nicht mehr so lange suchen. Lästig finden sie die Kühe dennoch. Wo die Herde weidet, dürfen die Golfer nicht spielen.
Und dann sind da noch die Kuhfladen. Längst nicht jeden finden die "Greenys". Und klinisch rein geputzt bekommen sie die Wiese auch nicht. Nicht umsonst heißt es, dass man einen Aroser Golfer am Mist an seinen Golfschuhen erkennt.
So erfordert ein spezieller Golfplatz besondere Regeln. "Landet der Ball im Mist oder stört Dich der Mist beim Spiel, kannst Du den Ball straffrei anders hinlegen." So heißt es im Regelwerk. "Ich spiele ihn, so wie er liegt", soll einst ein Gast gesagt haben und schlug ab - mitten aus einem frischen Kuhfladen heraus. Seine Kleider landeten sofort in der Wäsche.
Aber nur tagsüber gehört der Platz den Spielern. Am Abend kommen die Kühe wieder. Noch ist genug Gras da, das sie fressen können. Sobald alles "abgemäht" ist, weiden sie nachts auf anderen Flächen.
Vier Wochen nach einem Kuhbesuch ist das Gras nachgewachsen. Dann kommt die Herde wieder. Weide einzäunen, heißt das für die Greenkeeper - damit dem empfindlichen Grün am Loch nichts passiert. Wenn ein Zaun offen ist, sind die Greenkeeper schuld. Wenn eine Kuh ausbüxt und Schaden anrichtet auch. Beides kommt vor.
Eines Nachts im vergangenen Sommer brannte Kuh Cora mit dem Bullen durch. Unter den Bäumen im eingezäunten Bereich hatten sich die Ausreißer versteckt. Erst ihre Glocken verrieten sie, bevor die ersten Spieler vor verschreckten Kühen standen - oder die Ausreißer vor verschreckten Golfern.