Unterwegs mit dem Schiff: Einmal Tanger und zurück
Sieben Tage, sechs Häfen, 2222 Kilometer: Mit der AIDAvita durchs Mittelmeer.
Palma de Mallorca/Tanger. Was haben Schiffe und Engel gemeinsam? Flügel - wie Kapitän Tobias Pietsch versichert. Beim Auslaufen aus dem Hafen von Tanger gibt der AIDAvita-Chef schon einmal einen Ausblick auf das, was kommen mag - beziehungsweise auf das, was ausgefahren wird. Zwar wirkt die Ankündigung von Windstärke fünf bis sechs unter routinierten Seefahreren nicht gerade furchteinflößend, aber sicher ist sicher. Damit seine Gäste nach einem sonnigen Tag unbesorgt die Nacht genießen können, werden Stabilisatoren zum Einsatz kommen. "Sie sind fünf Meter lang - und quasi Flügel unter Wasser."
Die AIDAvita soll also engelhaft über das Meer - und durch die sternenklare Nacht - gleiten. Bevor es so weit ist, hat Kapitän Pietsch noch Zeit für ein wenig Ironie: "Windstärke fünf bis sechs - das wird uns nach den vergangenen ruhigen Nächten wie Fliegen vorkommen." Bleiben wir aber erst einmal auf dem Boden der Tatsachen, sofern das in einer schwimmenden Kleinstadt überhaupt möglich ist: Anders als Engel, deren Freiheit wohl grenzenlos sein dürfte, muss sich das Urlaubsschiff gewissen Verkehrssregeln unter- und damit ordnungsgemäß einordnen. "Stellen Sie sich das wie eine Autobahn vor - mit Auf- und Ausfahrten." Pietsch meint die Straße von Gibraltar, die so etwas wie ein Highway für Hochsee-Schiffe ist.
Eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt erleben die Gäste denkbar unterschiedlich. Die einen schlafen selig, die anderen tanzen nimmermüde auf dem Pooldeck, die nächsten planen an der Reling Händchen haltend den kommenden Tag. Egal, wie auch immer die Nacht genossen wird: Am nächsten Morgen ist die Meerenge, die in der Mitte 900 Meter tief und an der engsten Stelle nur 14 Kilometer breit ist, passé. Dafür muss der Kapitän nicht einmal Gas geben wie ein Formel-1-Pilot. "Von Tanger ist es ein Katzensprung bis nach Málaga." Pietsch muss es wissen.
Und der Schiffsoberste weiß noch mehr. Kaum hat er den Hafen von Málaga erreicht, können seine Gäste überprüfen, ob es stimmt, was der Kapitän kurz nach dem Anlegen über Lautsprecher verkündet hat. "Reich an Bars, Museen und Parks" soll sie sein - die Stadt, die nicht nur "für Rosinen und frittierten Fisch" bekannt ist. Der berühmteste Sohn der andalusischen Provinz ist Pablo Picasso. Genau hier, in den malerischen Altstadtgassen Málagas, wurde der Maler 1881 geboren - und genau hier kann man noch heute seinen Spuren folgen.
Ein Stadtrundgang führt idealerweise zu Picassos Geburtshaus, der maurischen Burg und der Kathedrale. Die Einwohner nennen sie "die Einarmige" - in 250 Jahren Bauzeit reichten die Mittel nie für einen zweiten Turm. Andererseits hat auch Reichtum seine Spuren hinterlassen: Die Palastanlage mit ihren üppig geschmückten Innenhöfen und Hallen diente den maurischen Herrschern als Wohnsitz, Wehranlage und Harem. Da überrascht es nicht, dass sich Picassos Geburtsort als Europäische Kulturhauptstadt 2016 beworben hat.
Flamenco, Stierkampf und malerische Aussichten: In Andalusien erleben die Passagiere einen wahrhaft heißen Tag. Festsitzen dürfen sie sich allerdings nicht: Das Schiff mit dem Kussmund, das sein eigenes Nutzwasser erzeugt und eine ganze Kleinstadt mit Strom versorgen könnte, treibt es weiter. 378 Kilometer sind es bis nach Cartagena.
Spaniens "heiße Küste", die Costa Cálida, macht ihrem Namen alle Ehre. Bei bestem Wetter kommen alle, die in Cartagena hoch hinaus möchten, ordentlich ins Schwitzen. Die Anstrengung lohnt sich: Der Panoramablick von der 70 Meter hoch gelegenen Burg ist beeindruckend. Auch am nächsten Tag - 317 Kilometer von Cartagena entfernt - scheint die Sonne.
Hier, in Valencia, hat das spanischste aller Rezepte, die Paella Valenciana, seinen Ursprung. Doch die Metropole am Mittelmeer hat neben kulinarischen Genüssen noch mehr zu bieten, angefangen bei den Baudenkmälern der historischen Altstadt bis zum futuristischen Viertel der Künste und Wissenschaften. Wer einen Blick in tropische Meere, Arktis und Antarktis werfen möchte, kann in einem der größten Aquarien Europas staunen, ohne selbst nass zu werden. Rund 50 000 Meeresbewohner warten bereits.
Nüchtern betrachtet könnte man auf der Rückfahrt nach Palma de Mallorca, in der letzten Nacht an Bord, beschwingt den Koffer packen - oder erst einmal die Reise Revue passieren lassen. Am Ende steht eine Schnapszahl: Insgesamt 2222 Kilometer hat die AIDAvita in dieser Woche zurückgelegt. Eine Tour für Badenixen genauso wie für Städteentdecker.
Cádiz ist das beste Beispiel: Als Tor zur "neuen Welt" erlebte der Küstenort eine Blütezeit, als der Handel mit Südamerika im 17. Jahrhundert florierte. Damals bauten sich die Kaufleute prächtige Paläste, deren Dächer kleine Aussichtstürme krönten. Rund 120 dieser Türme, aus denen die Spanier einst reich beladenen Schiffen entgegenblickten, gibt es noch heute. Den besten Blick über die Stadt bietet der einstige Wachturm Torre Tavira. In seinem Inneren findet sich auch eine faszinierende Spiegel-Konstruktion: die Camera Obscura.
Neben reichlich Geschichte und günstigen Einkaufsmöglichkeiten bietet Cádiz viel Sand und damit Platz zum Relaxen: Ein Abstecher zum Strand sollte beim Landgang nicht fehlen. Mehr als ein Geheimtipp ist der Playa de la Caleta am Rand der historischen Altstadt. Der kleine Strand liegt an einer Spazierpromenade mit Aussicht auf zwei historische Forts, auf den alten Hafen und seine bunten kleinen Fischerboote. Hinter dem Strand lockt das alte Fischerviertel.
Aufmerksamen Betrachtern könnte das durchaus kubanisch vorkommen. Kein Wunder: Cádiz wird auch Habanita (Klein Havanna) genannt. In der spanischen Kolonialzeit rückten die beiden Hafenstädte durch eine wichtige Seeverbindung näher aneinander, als man zuvor für möglich gehalten hätte. Die Folgen sind nach wie vor zu sehen: Cádiz und Havanna ähneln sich stark.
Dass die älteste Stadt des Abendlandes filmreif ist, weiß Lektor Michael Hoeborn, der die Aida-Gäste mit Vorträgen auf ihre Reisetappen einstimmt: "Sie kennen bestimmt die James-Bond-Szene, in der Halle Berry dem Meer entsteigt." So werden Erinnerungen wach: Die berühmte Szene, in der die Schauspielerin im orangefarbenen Bikini alle Blicke auf sich zieht und mit Pierce Brosnan einen Mojito trinkt, wurde am Strand La Caleta aufgenommen. Damit war Cádiz die ideale Kulisse für das 007-Motto "Stirb an einem anderen Tag" - das freilich wissen nur Eingeweihte. "Denn die Zuschauern sollten glauben, dass das Ganze in Kuba spielt."
Doch zurück nach Afrika: 133 Kilometer trennen Cádiz und Tanger. Dort spüren die Kreuzfahrer mehr als einen Hauch Marokkos: Im Vergleich zu Spanien geht es in den afrikanischen Gassen noch einmal deutlich geschäftstüchtiger zu. Der Legende nach spaltete Herkules die Erde genau an dieser Stelle. Tanger gilt als Verbindungstor zwischen den Kontinenten. Von der Kasbah, der Burganlage in Tangers verwinkelter Altstadt, bietet sich den Kreuzfahrern ein eindrucksvoller Blick auf den Hafen und das nur 14 Kilometer entfernte Spanien. Womit wir wieder auf der Straße von Gibraltar wären, die Europa und Afrika, das Mittelmeer und den Atlantik voneinander trennt. Wie sagte der Kapitän mit Verweis auf seine engelhafte Ausrüstung? "Die Stabilisatoren sind bereit." Wie beflügelnd...