Kutterfahrt auf der Lahn: Mit „Elisabeth II“ durch Marburg
Marburg (dpa/tmn) - Kurt Graf hat den schönsten Nebenjob in Marburg - das behauptet der Rentner jedenfalls, der gerade die Lahn zwischen zwei Wehren hinauf und herunter tuckert. „Mit gut gelaunten, netten Leuten unterwegs: Schöner kann ich mir den Ruhestand nicht vorstellen“, sagt er.
Kurt Graf ist einer von acht Bootsführern des kleinen Kutters „Elisabeth II“, mit dem Touristen die mittelhessische Universitätsstadt von der Wasserseite aus kennenlernen können. Er nimmt seine Aufgabe ernst. Wie ein Stadtführer hat er eine Mappe mit Fotos dabei. Sie zeigen das Gestern und Heute der Stadt und des Kutters. Denn „Elisabeth II“ ist ein besonderes Ausflugsschiff, das von Langzeitarbeitslosen im gemeinnützigen Verein „Arbeit und Bildung“ restauriert wurde. Früher hat es Ostseefischer ernährt.
Kein Marburger käme auf die Idee, den Schiffsnamen mit der englischen Queen in Verbindung zu bringen. Der Kutter trägt - wie sein Vorgänger aus den 1950er Jahren - den Namen von Marburgs wohl berühmtester Persönlichkeit: der Landgräfin Elisabeth von Thüringen. Die Heilige lebte als Witwe in Marburg und umsorgte dort Leprakranke.
Als einziges Motorschiff darf die „Elisabeth II“ auf der Lahn durch die hügelige Universitätsstadt fahren. Mit bis zu drei Knoten - 5,4 Kilometer pro Stunde - tuckert der knapp sieben Meter lange Kutter zwischen dem Weidenhäuser und dem Afföller Wehr an Uferböschungen unter Promenaden vorbei, an aufgeräumten Gärten, Liegewiesen und Flussstegen. Ab und zu überholt er Standup-Paddler und Ruderer.
Der Schreinermeister Adolf Maurer hat den Langzeitarbeitslosen mit der Restauration des heruntergekommenen Kutters in kleinen Schritten beigebracht, sich wieder in den Arbeitsalltag zu integrieren. „Profis hätten ein Viertel der Zeit gebraucht, um den Kutter lahntauglich und mit Batterien umweltfreundlich zu machen“, sagt er. Doch was zählt die Zeit, wenn man Menschen wieder eine Perspektive fürs Erwerbsleben vermitteln kann? Maurer ist zufrieden, dass alles hält, was sein Team mit Unterstützung des Universitäts-Bootsbaumeisters fast zwei Jahre lang in der Marburger Bootswerft aufwendig restauriert hat.
Bevor der Kutter dort ankam, stand er als Futtertrog auf einer Wiese in Schleswig-Holstein. „Da war schon viel zu tun“, erinnert sich Maurer. Die Persenning, also die imprägnierte Abdeckung, wurde unter Anleitung einer Schneidermeisterin erstellt, die zusammen mit Langzeitarbeitslosen auch Taschen und Jacken aus gebrauchtem Segeltuch sowie aus Persenningresten fertigt. Verkauft werden diese über die Webseite des Vereins.
Heute gehört die „Elisabeth II“ im Sommer zum Stadtbild und ist auf der Lahn immer wieder ein Hingucker. Besonders an Wochenenden zieht es halb Marburg an und auf den naturnahen Fluss. Da müssen sich Kurt Graf und seine Kollegen mal den Weg zwischen Tretbooten frei blasen - mit einem Messinghorn. Das kommt gut an: Ein Tretbootfahrer möchte sich das Horn ausleihen, ein Junge antwortet grinsend mit seiner Trillerpfeife. Die Kommunikation ist munter auf dem Wasser. Auch an den Lahnterrassen vor der Uni-Mensa: „Wenn wir hier mit Sektkühler an Bord auf unseren kulinarischen Fahrten vorbeischippern, gibt es aber auch schon mal freche Bemerkungen von den Studenten“, erzählt Graf.
In Richtung Nordstadt und Spiegelslustturm weicht hastig rudernd eine Entenfamilie aus. Einen Augenblick gibt der Uferbewuchs den Blick auf die gotische Kirche frei, in der die Heilige Elisabeth begraben liegt. Auch das Landgrafenschloss blitzt kurz über der Altstadt auf.
Marburg hat seine Sommerfrische mitten in der Stadt: Am Afföller Wehr warten Angler auf Beute, beim DLRG-Steg springen Kinder ins Wasser. Auf der Promenade dahinter: Studenten mit Picknickkörben unterm Arm, Migrantinnen mit Kinderwagen, korrekt gekleidete Professoren und Touristen auf der Suche nach Erfrischung im Schatten hoher Bäume. Am Lahnufer ist Platz für alle. Und mittendrin tuckert „Elisabeth II“.