Unvergleichlicher Lebensraum: Auf Moortour im Allgäu
Oy-Mittelberg (dpa/tmn) - Allzu appetitlich sieht die braune Pampe nicht aus, die in kleinen Gefäßen vor den Kindern steht. Etwas zähflüssig wabert sie in den Marmeladengläsern, der Geruch ist erdig.
Dann tunken Miriam und Emily ihre Binsen in die Moorlauge, wie Pinsel.
Die fünfjährigen Mädchen lassen ihrer Fantasie freien Lauf und malen, falten ihre Blätter, um das Gemalte zu spiegeln. Häuser, Blumen, Fische, abstrakte Kunst - mit der Moorlauge geht fast alles. Blöd finden die zwei nur, dass die Lauge Zeit zum Trocknen braucht. Und ein bisschen Farbe könnten die Kunstwerke auch vertragen.
Angela Friedl hat Erfahrung mit ungeduldigen Kindern. Sie nimmt die Mädchen mit in den Stall der Familie und ins Moor. Das liegt direkt gegenüber ihres Hofes in Weißensee, einem Dorf bei Füssen im Allgäu. Angelas Mann Matthias ist Moor-Erlebnisführer, er kennt sich aus im sumpfigen Gelände. Der Landwirt zeigt den Kleinen, wie die Pflanzen im Moos, so sagt man es hier, funktionieren. „Nach der letzten Eiszeit haben sich die Moore hier bei uns im Allgäu gebildet“, sagt er. Mehr als 10 000 Jahre ist das her. „Viel Regen hat es dafür gebraucht, denn die Moore können nur da entstehen, wo es ziemlich nass ist.“ Die Kinder prüfen das gleich, hüpfen über die Wiesen. Und stehen fast bis zu den Knien im Wasser.
Der Mensch hat mit der Bewirtschaftung der Moorflächen in der Vergangenheit allerdings einiges kaputtgemacht. „Der Torf wurde als Brennstoff genutzt, als es nichts anderes gab - und um ihn stechen zu können, wurden die Hochmoore entwässert“, sagt Matthias Friedl. Die Niedermoore wurden gemäht, das Gras in die Ställe gestreut. „Nachdem für viele Bauern Futter wichtiger wurde, entwässerte man diese Wiesen, andere lagen brach oder wurden mit Fichten aufgeforstet.“
Der Wasserhaushalt in der Moorlandschaft des Ost- und Oberallgäus ist geschädigt - und darum ist die Moorallianz am Werk, um das Moos zu renaturieren. Dazu braucht es auch die Touristen, die wissen sollen, was eigentlich ein Moor ist und warum es so wichtig ist für die Natur, sagt Gwendolin Dettweiler, Regionalmanagerin der Moorallianz. Während die Moore immer als verwunschene Landschaft oder gar als öde und sogar gefährlich angesehen wurden, entdeckt man langsam ihre große Bedeutung, sagt sie. „Die Flächen sind ungeheuer wichtig für den Hochwasserschutz, denn die Pflanzen können ein Vielfaches ihres Volumens an Wasser speichern.“ Und eine solch Riedlandschaft ist noch wertvoller als ein Wald, weil sie sehr viel Kohlendioxid speichert.
Jeder Besucher lernt eine Menge über das Moor, wenn er im Allgäu wandert oder auf einem der „Emoortionenhöfe“ Urlaub macht. Die Gastgeber sind speziell ausgebildet, zum Beispiel auf Erlebnispfaden in Stetten, im Wirlinger Wald oder im Werdensteiner Moor. Im Tuffenmoos gibt es einen besonderen Gästeführer: Palli, ein Hochmoor-Gelbling. Ein Abbild dieses zarten gelben Schmetterlings erklärt den Besuchern seinen Lebensraum, stellt seine Freunde und Nachbarn vor. Sogar ins Moor können Kinder und Erwachsene hier gehen, Stege führen mitten hinein. Dort erläutert Palli schließlich die Lebensräume Streuwiese, Torfstichkante und Hochmoor.
Auch in Seeg, dem selbst ernannten Honigdorf im südlichen Allgäu, spielt das Moor eine wichtige Rolle. Neben Bienen, Wachs und Honig. „In den Hügeln rund um Seeg entspringen viele Quellen“, sagt Moorerlebnisführerin Hedwig Langhof. Sie speisen die Bäche, die die Landschaft durchfließen und das Wasser für die Seen liefern. An den schönsten Aussichtspunkten ist das „Moorigami“ entstanden. „Das sind große, markante Figuren, die gefalteten Wanderkarten nachempfunden sind.“ Origami aus Blech - mit einem multimedialen Inneren. Von dem knallgrünen Faltvogel unterhalb des Kirchturms aus kann man zum Beispiel mit einem Fernglas die Vögel beobachten, die hier im Ried leben - und lernt so einiges über Flora und Fauna.
Unter dem Namen „Moosaikreich“ hat man in Oy-Mittelberg Wander- und Radwege und so manchen Entdeckerpfad zusammengefasst. Auch die Schafsrasse der Moorschnucken, die im Moos als Rasenmäher dienen, ist hier zu Hause. Am Schwarzenberger Weiher hat der Bildhauer Robert Liebenstein ein Landschaftsmodell installiert, an dem blinde und sehbehinderte Menschen die Landschaft mit den Händen erfühlen können. Eine große Glocke berichtet über den „Schatz im Kesselsee“. Einer Sage zufolge soll genau an dieser unscheinbaren Stelle im Wald der Kirchenschatz des ehemaligen Klosters Kempten verborgen sein.
Überhaupt, die Sagen und die Geschichten - von ihnen gibt es eine ganze Menge, denn das Moor war schon immer ein mystischer Ort, nicht nur im Allgäu. Irrlichter haben zu allerlei Unglücken geführt, um so manche Moorleiche ranken sich wilde Gerüchte. Vor allem aber ist das Moor ein spannender und abwechslungsreicher Ort. Besonders für Kinder wie Miriam und Emily.