Usedom: Die Seebäder der Dichter und Denker
Eine neue Promenade verbindet die Kaiserbäder mit dem polnischen Swinemünde.
Usedom. „Er hat nur für sich gemalt. Nicht der Stil war ihm wichtig, sondern der Sinn fürs Experimentieren“, beschreibt seine Witwe die Arbeit des 1989 gestorbenen Rolf Werner. Seit 1953 hatte er die Usedomer Künstlerkolonie aus Malern und Schriftstellern maßgeblich geprägt.
Im Gedenkatelier im reetgedeckten Landhaus an der Seestraße in Bad Bansin hütet sie den stattlichen Nachlass von 1598 Bildern und Zeichnungen. „Alles unverkäufliche Originale“, versichert Dr. Siegrid Werner.
Alle Wände des geräumigen Hauses sind dicht mit Bildern bedeckt, bunt gemixt, meist Ölgemälde aus den verschiedensten Perioden und Themenbereichen. Viele Ansichten zeigen Leipzig, wo Werner 1916 geboren wurde und an der Akademie für grafische Kunst und Buchgewerbe studierte.
Später, auf Usedom, traten Menschen und Landschaft der Ostseeküste in den Vordergrund, dazu Impressionen aus englischer Kriegsgefangenschaft, von Studienreisen ins Ausland, Stillleben und Porträts.
Siegrid Werner: „Mein Mann hatte ein bewundernswertes fotografisches Gedächtnis. Vieles, was er sah, setzte er erst später auf der Leinwand um.“ Die Staffelei mit Pinsel, Farben und Palette ist noch erhalten. Jeden Tag schmückt sie sein letztes unvollendetes Werk mit einer frischen Rose.
Im kleinen, denkmalgeschützten Fischerkaten an der Talstraße in Ahlbeck stellt Volker Köpp seine Bilder und Grafiken aus. Mit dem Verkauf bestreitet der gebürtige Usedomer seinen Lebensunterhalt. Der 58-Jährige, der an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste studierte, entdeckt in seinen Städteansichten immer neue Facetten der prächtigen Bäderarchitektur.
Von der Insel-Idylle begeistert war auch Otto Niemeyer-Holstein (1896-1984). Der Mitbegründer der Asconaer Künstlergruppe „Der große Bär“ segelte 1933 mit seinem Boot „Lütte“ von Berlin an den Ostseestrand. Ein ausrangierter S-Bahn-Wagen wurde Wohnung und Atelier für sich und seine Familie. Eine öde Brache am Boddenufer verwandelte er in einen Skulpturengarten. Die See inspirierte ihn zu immer neuen Werken, vorwiegend Landschaftsgemälden im Stil des expressiven Realismus.
Sein Ankerplatz zwischen Koserow und Zempin erhielt den Namen Lüttenort, wurde mehrfach umgestaltet und 2001 um einen modernen Galeriebau erweitert. ONH, einer der bedeutendsten zeitgenössischen regionalen Maler des frühen 20. Jahrhunderts, erhielt bei den Nazis Ausstellungsverbot und geriet als Mitglied der Akademie der Künste auch mit dem DDR-Staatsapparat in Konflikt. Mit Rolf Werner war er eng befreundet.
Radelnd erkundete der deutsch-amerikanische Maler Lyonel Feininger (1871-1956) die Sonneninsel. Zwischen 1908 und 1921 entstanden seine „Naturnotizen“ — mehr als 80 Zeichnungen mit Szenen von Usedom. Sein Fahrrad Marke „Cleveland Ohio“ hütet die Benzer Kunstgalerie. Auf einem 56 Kilometer langen Rundweg können Urlauber seinen Spuren folgen.
Auch Dichter und Denker zog es in die drei Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck. So vollendete Thomas Mann 1924 im Bansiner „Haus Seeblick“, heute „Ancon-Hotel Kaiser Wilhelm“ und in der Ahlbecker „Villa Heimdahl“ (Reha-Klinik) seinen „Zauberberg“.
Maxim Gorki erholte sich 1922 von der Tuberkulose in der „Villa Irmgard“, jetzt Kunstmuseum Heringsdorf. Er führte lange Gespräche mit Alexej N. Tolstoi, der in Misdroy auf Wolin Urlaub machte, schrieb an seiner Autobiografie und spielte abends ausgiebig Karten. Das „Arabische Zimmer und das „Tolstoi-Zimmer“ sind noch gut erhalten. Dort finden auch Gorki-Lesungen statt.
Im Literaturhaus Bansiner Waldstraße, früher Feuerwehrstation, geht es um die legendäre „Gruppe 47“, Schriftsteller, die nach Ende des Dritten Reichs von der „Neuen literarischen Gesellschaft“ träumten. Der 1908 auf Usedom geborene Hans-Werner Richter hatte sie ins Leben gerufen mit Weggefährten wie Siegfried Lenz, Peter Handke, Ingrid Bachmann, Uwe Johnson, Heinrich Böll, Günter Grass oder Verleger Siegfried Unseld.
Im „Günter-Grass-Zimmer“ hängen zwölf Originalzeichnungen des Nobelpreisträgers. Die Publizistin Carola Stern, aus Ahlbeck stammend, stiftete nach ihrem Tod 2006 ihre umfangreiche Bibliothek.
Dem Kaiser verdankt das Bäder-Trio seinen Aufschwung. Dem Hochadel in den herrschaftlichen Villen der Kaufleute, Bankiers und Kunstmäzene folgten bald die Spree-Athener, die Usedom zur „Berliner Badewanne“ kürten. Der letzte Weltkrieg zerstörte Teile der klassischen Bäderarchitektur. Andere Bauwerke verrotteten in der DDR.
Inzwischen glänzt fast alles wieder wie in alten Tagen. Jetzt werden 8,5 Kilometer Strandpromenade Bansin-Heringsdorf-Ahlbeck mit dem polnischen Swinemünde verbunden. Schon bald können Gäste des ersten grenzüberschreitenden Ostsee-Boulevards auf elf Kilometern frische Meeresbrise schnuppern.
Das „Usedomer Musik-Festival“ gestalten diesmal Künstler aus Litauen. Kirchen, Galerien, Schlösser, Hotels und das Kraftwerk des Historisch Technischen Museums Peenemünde werden zum Podium für Solisten, Orchester und Chöre des baltischen Nachbarns.