Digitale Verunsicherung Von virtuellen Freunden, (für) die niemand bremst

Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“: Die Pokémons sind wieder da. Was einst Nintendo-Displays, TV-Bildschirme, Sammelkartenmappen der Kinder und die Kassen füllte, ist dieses Jahr den gesicherten Umgebungen entschlüpft und bevölkert nun Stadt und Land.

Foto: Sergej Lepke

Ratzfatz bringt die Android oder Apple-App Rattfatz, Taubsi und Glumanda in unsere Welt. Mit dem Smartphone lassen sich die Fabelwesen überall entdecken, ob im nachbarlichen Vorgarten, der kommunalen Parkfläche oder auf dem Grünstreifen der Autobahn. „Don’t Pokémon and Drive“ heißt daher die Message auf Leuchttafeln über amerikanischen Highways.

Der fließende Datenverkehr bricht sich Bahn, und es ist schwer, Abstand zu halten: Die Übergänge zwischen realer Leistung und virtuellem Erfolg waren noch nie so nahtlos wie beim Spiel Pokémon Go. Wie konsequent die vernetzte Wirklichkeit unser tägliches Leben bestimmt, zeigt sich vor allem in den Extremszenarien, wenn Pokémons Unfälle verursachen oder uns an Gedenkstätten begegnen. Sie sind, wo wir sie sehen, weil sie sehen, wo wir sind. Wir sind alle im gleichen Netz. Sie bevölkern unsere Gegenwart, die auch ihre ist.

Im Second Life wurden wir noch zur Zeichentrickfigur, dann traten wir in MySpace, Facebook und Twitter selbst in Erscheinung und in Kontakt zu Freunden, die wir persönlich oft nicht kennen, stattdessen in Instagram und Youtube zu Gesicht bekommen. Flach wie die Bilder unserer Profile sind die Rituale des Austauschs: Unsere Sympathiebekundungen erschöpfen sich in „Likes“ und unsere gemeinsamen Interessen in „Shares“.

Da hat manches Pokémon, gespiegelt im Handydisplay, mehr dimensionale Tiefe. Sie kommen in unsere Welt. Hier werden wir bald dann auch Bekannten unserer Social Media begegnen: Auf der anderen Straßenseite, am Tisch gegenüber, neben uns auf der Couch, im Theater, im Museum. Die virtuelle Welt hat Raum für mancherlei Gestalt. Daher ist uns Pikachu mit seinen Freunden wirklich willkommen: „Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.“