Mein Soundtrack für den Sommer Live is Life — nichts passt besser in die 80er
Nur in den 80ern konnte ein Song geschrieben werden, der in seiner Einfachheit so genial aufdringlich ist: Live is Life von Opus - der "Soundtrack des Sommers" für unseren stellvertretenden Chefredakteur Lothar Leuschen.
Düsseldorf. Lange Zeit schienen im Rückblick die 70er Jahre die kulturloseste Dekade des 20. Jahrhunderts zu sein. Die 70er waren für einen Menschen des Jahrgangs 1962 Kindheit und Jugend. Der Alltag weitgehend fremdbestimmt, entweder von Eltern, die sagten, welche Meinung gerade die Richtige, oder von Lehrern, die sagten, was im Augenblick gerade das Wichtige war. Jugend in den 70ern war für Jungs, die in der Eifel geboren und am plattesten Niederrhein sozialisiert wurden, keine leichte Zeit.
Die Hosenschläge weit, die Klamotten bunt, die Haare lang — bei dem, der das durfte. Wer nicht, der war ein armer Tropf. So gesehen waren die 70er echt hart, wirkten auf den Heranwachsenden kulturlos. Was für ein Blödsinn angesichts von Filmen wie Star Wars, von Rock-Bands wie Led Zeppelin und der Ostpolitik Willy Brandts. Im fortgeschrittenen Alter wird das alles bewusster. Aber die 80er. Die hatten wirklich nichts. Popper bestimmten das Straßenbild mit etwas, das eine Frisur sein sollte, die Haare toupiert, die Sakkos mit Polstern so breit wie die Schultern von Arnold Schwarzenegger — im aufgepumpten Zustand.
Nur in dieser Zeit konnte ein Song geschrieben werden, der in seiner Einfachheit so genial aufdringlich ist, dass der Ohrwurm mittlerweile auch schon 33 Lenze zählt. Dass die Band „Opus“ hieß, namentlich also kulturell Hochwertiges versprach, könnte eine Art gewollter Satire gewesen sein, war es vermutlich aber nicht. So viel Esprit mag der Hörer den Alpenpopkünstlern gar nicht zutrauen. Denn die Komposition, die das Quintett in der westlichen Welt wohl unvergessen macht, schlägt sogar Dieter Bohlens Werke in ihrer Vorhersehbarkeit.
Aber Live is Life hat es geschafft. Seit 1984 verbinden sich mit dem Song Bilder, die aus dem Hirn nicht mehr verschwinden werden. Sie zeigen nicht den oberlippenbartigen Sänger der Band. Sie zeigen eine Kneipe in der Mönchengladbacher Altstadt. Sie hieß Alfreds Kneipe, was nichts mit dem Inhaber und Wirt zu tun hatte. Der hieß Franz. Aber das war völlig egal. Alfreds Kneipe war der Anlaufpunkt für alle jungen Erwachsenen, die mal sehen wollten, wie einige mittelalte Erwachsene „Gladbacher sein“ definierten.
Auf jeden Fall war es offenbar cool, sich irgendwie im Dunstkreis von Borussia Mönchengladbach zu bewegen und sei es auch nur als Serviettenlieferant für die damals noch recht amateurhaft-provinzielle Geschäftsstelle am altehrwürdigen Bökelberg. Sprüche waren auch wichtig („Komm’ Se rein, wir baden gerade“, „sauber gelaufen, Kerlchen“), und seien sie noch so abgenutzt gewesen.
Bei Alfred war vor allem Alt am Anschlag, Diebels Alt, und wer immer es auch nur aushilfsweise als Zapfer hinter den Tresen schaffte, hatte so etwas wie einen Heiligenschein. An den dunklen Holztischen wurde gezockt. Tuppen und ähnliche Spiele, natürlich gegen noch halbwegs vernünftige Geldbeträge oder gegen Runden, füllten die zunehmend größeren Gesprächspausen. In einer Zeit, in der es nur um Fußball, Trinkfestigkeit und das Aussehen von Vertretern des anderen Geschlechtes geht, tragen Unterhaltungen nicht sehr weit. Alles gut, dann eben eine Runde Tuppen, Schocken oder noch schlimmere Räuberspiele. Karten, Würfel, egal. Doch die Konzentration darauf, möglichst nicht zu oft und nicht zu hoch zu verlieren, hatte auch ihr Gutes. Das Ohr schaltete ab. Denn in dieser Zeit, so Ende 1984, Anfang 1985, kannten die Boxen in Alfreds Kneipe anscheinend nur einen Sound. Den von Opus. Den von Live is Life.
Und mit jedem Mal wurde deutlicher, dass Österreich vor und nach Toni Polster nichts wirklich Brauchbares an den Niederrhein, geschweige denn nach Deutschland exportiert hat. Der Song von Opus ist von einer Qualität, dass der Rest der Welt schon für Conchita Wurst dankbar sein muss. Deren Song hatte wenigstens etwas von James-Bond-Vorspännen im Kino. Wie ging das Lied noch gleich? Leider vergessen. Aber Live is Life ist drin, wie eingebrannt. Der Ohrwurm wird älter und vollschlanker, wie der Mensch, dem das Ohr gehört. Alfreds Kneipe ist übrigens Geschichte. Und die Mönchengladbacher Altstadt hat ihre Blütezeit leider auch schon lange hinter sich. Umso schmerzhafter ist jede Rückblende im Fernsehen auf die 1980er Jahre. Denn Opus und Live is Life sind immer dabei. Lala, la, la, la. . .