Ein Pulver aus Fliegenlarven soll Amputationen vermeiden
Ein Team der Uni-Hautklinik hat ein Flüssigpflaster entwickelt, um infizierte Wunden zu heilen.
Düsseldorf. Es war während der Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts: In den Militärlagern fiel plötzlich auf, dass unter den verwundeten Soldaten, die einen Schwerthieb abbekommen hatten, jene überlebten, in deren Wunde Fliegenlarven herumkrabbelten.
Was vermutlich kaum ein Laie weiß: Auch heute noch werden die Larven in der Medizin eingesetzt, um schlimme Wunden zu behandeln. Sie helfen sogar gegen multiresistente Keime — so genannte MRSA.
Das Gute: Sie sind hundertprozentig natürlich. Das Schlechte: Sie sind superekelig. Düsseldorfer Forscher der Uni-Klinik haben jetzt ein Pulver entwickelt, das wirkt wie die kleinen Würmchen, aber nicht so fies ist.
Zwar ist die Gefahr von Schwerthieben in unserer Zeit drastisch reduziert, aber laut Norman-Philipp Hoff von der Hautklinik der Uni leiden zwei bis vier Millionen Menschen in Deutschland unter „Problemwunden“, die einfach nicht heilen wollen. Oftmals ältere Menschen mit Venenproblemen. Oder Diabetiker, die ein Fußsyndrom haben. 42 000 Amputationen gibt es deshalb pro Jahr in Deutschland. „Wir sehen hier meist die Patienten, die über lange Zeit schon alles versucht haben“, sagt Hoff.
Das Problem: In diesen Wunden sammeln sich oft Keime, gegen die kein Antibiotikum dieser Welt mehr hilft. Die Fliegenlarven — Entschuldigung, jetzt wird es noch unappetitlicher — spucken Flüssigkeit in die Wunde und saugen sie dann wieder ein. An dieser Flüssigkeit bleiben die Keime einfach kleben. Die Larven nehmen sie auf und verdauen sie. Genau genommen bekämpfen die Tierchen die Erreger also überhaupt nicht — sie fressen sie einfach auf.
Aber die Behandlung mit Larven bringt auch Probleme mit sich. Logistische etwa. Denn innerhalb weniger Tage wachsen die Babyfliegen von einem halben Milli- auf einen ganzen Zentimeter an. Dann verpuppen sie sich und sind für ihren Einsatz am Patienten nutzlos. Mit ihren kleinen Mundhaken und ihrem Gewimmel sind sie für den Kranken aber auch immer — Tag und Nacht — spürbar. Denn die Larven werden unter einem abdichtenden Verband für längere Zeit in die Wunde gesetzt. Und das ist unangenehm.
Deshalb haben Hoff und weitere Forscher von der Uni-Klinik aus Fliegenlarven ein — absolut steriles und unekeliges — Pulver gemacht. Das kann zu einer Lösung angerührt und auf einem Pflaster auf die Wunde gepappt werden. Zieht man es dann ab, hängen die Keime an dem Pflaster, erklärt Arzt Peter Arne Gerber: „Ihre Anzahl ist in den Versuchen dramatisch heruntergegangen oder sie waren sogar komplett weg.“
Larveel heißt das Larvenpulver, das Uni-Professor Heinz Mehlhorn mit seiner Firma Alphabiocare — einer Uni-Ausgründung im Life Science Center an der Merowingerstraße — auf den Markt bringen will. Er hat es auch schon an seinem eigenen Hund getestet, der in eine Glasscherbe getreten war und über sechs Wochen an einer nicht heilenden Wunde litt.
Nach der Behandlung mit Larveel war das Pfötchen wieder zu. Norman-Philipp Hoff berichtet aus den Versuchen auch von einer Patientin, die fast den kompletten Unterschenkel offen hatte und ewig von Arzt zu Arzt getingelt war. Nach anderthalb Monaten Behandlung hat sie nun nicht mehr die kleinste Wunde am Bein.
Die Ethikkommission hat Larveel als Heilversuch bereits genehmigt. Was den Forschern zupasskommt, ist, dass Larveel keinerlei antibiotische Wirkung hat, sondern rein mechanisch arbeitet, sprich: Es tötet keine Keime, sondern hält sie nur fest und entfernt sie. Deshalb muss es das langatmige Verfahren der Zulassung als Medikament nicht durchlaufen, wird vielmehr bald als Flüssigpflaster in den Apotheken und bei Tierärzten auch für Hunde und Pferde zur Verfügung stehen.
Es klingt verrückt. Aber in absehbarer Zukunft könnten Menschen, die früher ein Bein verloren haben, nur noch in die Apotheke gehen müssen, um sich ein Sechserpack Larveel zu besorgen — natürlich nach einem Arztbesuch, betont Professor Mehlhorn. Das alles dank pulverisierter Fliegenlarven. Das ist Wissenschaft.