Die elektronische Zunge in der Uni testet bittere Pillen

Pharmazeutin Miriam Pein sorgt mit Sensoren dafür, dass Medizin genießbar ist und will menschliche Tester überflüssig zu machen.

Düsseldorf. Im Disney-Film singt das zauberhafte Kindermädchen Mary Poppins: „Wenn ein Löffelchen voll Zucker bittere Medizin versüßt . . .“ — und schon wird aus dem bitteren Saft, dessen Einnahme die Kinder Jane und Michael so partout verweigern, roter und grüner Zuckersirup. Der natürlich immer noch hilft. So viel zum Film. Leider liegen zwischen der internationalen Pharmaindustrie und Disney Welten — und es hinzubekommen, dass Medizin von Kindern nicht rundweg wieder ausgespuckt wird, ist ein komplizierter Prozess.

Ihn aber wenigstens ein kleines bisschen „poppins-mäßiger“ zu machen, daran forscht Miriam Pein in der Düsseldorfer Uni. Mit Hilfe einer elektronischen Zunge. Es kann vermutlich jeder bestätigen, der schon mal ein Aspirin oder eine Paracetamol gegen Kopfweh genommen hat: Ein berauschendes Geschmackserlebnis ist das nun nicht. Aber schon, dass die Tabletten überhaupt genießbar sind, ist ein Akt.

Denn Acetylsalicylsäure, der Wirkstoff im Aspirin, ist sehr sauer, Paracetamol an sich extrem bitter. Deshalb wird der Geschmack „maskiert“, sagt die Forscherin aus der Pharmazeutischen Technologie. Um zu überprüfen, ob das gelingt, hat ihre elektronische Zunge sieben Sensoren, die auf verschiedene Stoffe reagieren und so den menschlichen Geschmackssinn nachahmen. Pein testet immer den jeweiligen Wirkstoff und dann ein Placebo, das nach gar nichts schmeckt.

Die Sensoren senken sich an einem steuerbaren Arm in die kleinen Becherchen mit Lösung, und am Monitor erscheint in einem Diagramm ein Punkt für das gemessene Signal des Wirkstoffs sowie einer für das Placebo. Jetzt mischt Pein den Wirkstoff mit ausgleichenden Substanzen — zum bitteren Paracetamol zum Beispiel etwas Süßendes —, macht daraus eine Tablette und testet wieder und wieder. Bis sich der Punkt für den Wirkstoff immer weiter dem Placebo-Punkt annähert. „Idealerweise schmecken Arzneimittel, als wäre gar kein Wirkstoff drin“, erklärt die Forscherin.

Und das hat gute Gründe. Cortison etwa ist entsetzlich bitter und würde unvermischt niemals im Mund eines chronisch kranken Kindes bleiben. Aber nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn der Wirkstoff feinstmöglich in zuckrigem Erdbeergeschmack versteckt würde: „Das Kind könnte das Arzneimittel für eine Süßigkeit halten und sich mit einer Überdosis vergiften.“ Ähnlich wichtig sei der Spagat zwischen genießbar und lecker bei Medikamenten für Tiere.

Die Forscher aus Düsseldorf Für die Hersteller von Medizin ist die Geschmacksfrage eine wichtige — denn welche Mutter oder welcher Vater wird nochmal eine Pille fürs kranke Kind holen, die dieses schon beim letzten Mal nicht nehmen wollte. Aber die Frage schon früh im Prozess der Produktion neuer Medikamente klären, ist haarig: Bisher geht das nur mit menschlichen Testern. Das heißt, man muss Menschen einen Wirkstoff zu schlucken geben, den sie eigentlich gar nicht brauchen. Der vielleicht sogar Nebenwirkungen hat.

„Diese Bestätigung braucht man immer noch“, sagt Miriam Pein. „Das Einsatzgebiet der elektronischen Zunge hat Grenzen, da der komplexe menschliche Geschmackseindruck nicht absolut mit diesen Instrumenten wiedergegeben werden kann.“ Das heißt: Wirklich schmecken kann die Elektronik eben nicht. Sie kann lediglich die Unterschiede von zwei Vergleichsstoffen aufzeigen.

Aber genau hier forscht die 32-Jährige weiter: Sie will eine „echte“ Zunge nachbauen, mit richtigen Geschmacksrezeptoren, wie sie der Mensch besitzt. Ihr Traum ist es, innerhalb des eigenen Forscherlebens noch zu erreichen, dass menschliche Tester überhaupt nicht mehr gebraucht werden, um herauszufinden, wie eine Arznei schmeckt. „Das ist das Ziel“, sagt sie lächelnd. „Natürlich ein hochgestecktes.“ Aber das ist eben ganz nach ihrem Geschmack.