Gemüse mit Mut zur Unvollkommenheit
WZ-Autor Matthias Rech berichtet vom Mietacker in Niederkassel.
Düsseldorf. Ein neuer Samstag — ein neuer Ackertag. Diesmal hatten wir einen kleinen Altstadt-Kater mitgebracht, dem wir im saftigen Niederkasseler Grün bei frischer Luft und knallender Sonne ein wenig Auslauf gönnten.
Am Ende der Plackerei, das Alt vom Vorabend hatte gerade seinen Aggregatzustand von kopfschmerzig in rausgeschwitzt geändert, machte ich — wie fast immer — ein Foto von der Ernte, die wir auf unserer Scholle eingefahren hatten: Fünf große Spitzkohl, acht oder neun armdicke Zucchini, einen Sack voll Mangold und einen zweiten mit Ruccola, dazu einen schönen Haufen Zuckerschoten sowie vier große Köpfe Broccoli, Porree, Feldsalat und Lauchzwiebeln.
Ich schicke meiner Mutter in der Regel dieses Beweisfoto, damit sie auch glaubt, dass ich mittlerweile mit Grünzeug mehr anzufangen weiß, als es mittels eines Fußballs oder Flitzebogens kaputt zu schießen. Das ist so ein kleines Gartentrauma, das wohl jede Mutter eines kleinen Rabauken mit sich herumträgt, wenn sie im Garten schon einmal ihre geknickte, niedergegrätschte oder abgeschossene Blumenzierde betrauert hat.
Jedenfalls machte das Bild die Runde. Eines stellte ich auch ins Internet und siehe da: Da fragte ein Kollege doch tatsächlich, ob er mir von dem Gemüse etwas abkaufen dürfe. Das sehe so lecker aus.
Als ich dann in diesen Tagen auch noch las, dass in Deutschland die Kartoffelpreise in die Höhe schnellen, weil es so lange kalt war und die Ernte sich entsprechend verspätet, machte ich mir so meine Gedanken. Was ist das eigentlich wert, was wir da ernten? Wie viel könnte man für eine liebevoll gezogene Zucchini in der Größe eines Einbaums überhaupt verlangen?
Vermutlich nichts. Denn im Supermarkt, wo ich mich über Gemüsepreise informieren wollte, gab es vergleichbare, armlange Drei-Kilo-Monster, wie wir sie manchmal produzieren, nicht. Würde man aber das Gewicht hochrechnen auf den Preis von Bio-Zucchini aus der Gemüsetheke (Pfundpreis: 1,99 Euro), hätten wir allein am letzten Samstag Zucchinis im Wert von über 50 Euro geerntet.
Erstaunt rechnete ich auch den Rest der Samstagsernte in Supermarktpreisen aus — und kam auf fast 48 Euro. Die Erbsenschoten ausgeschlossen, denn die gab’s im Supermarkt nicht. Mit den Zucchini hatten wir zu viert in zwei Stunden Gemüse im Wert von beinahe 100 Euro erwirtschaftet. Ziehen wir die Arbeitskosten von — in der Branche leider noch viel zu hoch angesetzten — 7,50 Euro pro Stunde und Erntehelfer ab, blieben immer noch 40 Euro in der Tasche von uns Großstadtbauern. Die Miete für den Acker hätten wir so nach acht Erntesamstagen wieder drin.
Im Prinzip kann man diese Rechnung aber getrost in die Tonne kloppen. Dahin würde nämlich auch fast unser gesamtes Gemüse wandern, wären wir Profi-Landwirte oder Supermarkt-Lieferanten.
Mal zu groß, mal zu krumm, mal mit einer Schnecke geteilt, mal mit einer gedötschten Stelle, mal eben einfach nicht schön genug. Die Gemüsetheke beim Discounter ist wie ein Casting zu „Germanys next Topmodel“. Hier kommt weit, was oberflächlich gut aussieht, ob es auch gehaltvoll ist, ist herzlich egal. Unser Grünzeug würde da höchstens im Abspann bei den lustigen Absonderlichkeiten vorkommen.
Uns dagegen ist herzlich egal, ob unsere Ernte Mut zur Hässlichkeit beweist: Geld würden wir nie dafür nehmen. Und das Gefühl mit eigenen Händen geerntete Bodenschätze zuzubereiten, zu schmecken oder mit Familie, Freunden, Nachbarn und Kollegen zu teilen, ist schlichtweg unbezahlbar.