Gast-Beitrag Ulrich Hennes Plädoyer für besondere Solidarität mit geflohenen Christen

Es gibt keine pauschale Christenverfolgung in Unterkünften, aber Repressalien

Foto: David Young

Als Christen helfen wir Flüchtlingen nicht, weil sie Christen sind, sondern weil sie in die Notlage geraten sind, ihre Heimat verlassen zu müssen. Unsere Zuwendung gilt jedem Notleidenden unabhängig von Hautfarbe und Religion. Ihnen werden wir — wie es Jesus Christus in dem bekannten Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt — zum Nächsten.

Dennoch meine ich, dass die Christen unter den Flüchtlingen unserer besonderen Solidarität bedürfen. Seit vielen Jahren schon stellen wir eine Abwanderung von Christen aus dem Orient und damit aus der ältesten Region des christlichen Glaubens fest. Christen haben ihre Heimat schon verlassen, als noch niemand vom Islamischen Staat sprach, weil sie Benachteiligung und Repressalien, bisweilen auch Verfolgung ausgesetzt waren. Ihr Weg führte sie stets in Länder christlicher Prägung, in denen sie sich Sicherheit und Freiheit als Christen erhofften. Mit Eskalation des syrischen Bürgerkriegs und der Ausweitung des Terrors des Islamischen Staates flohen aber dann auch Muslime nach Europa, um Leib und Leben zu retten. Mit einem Mal finden sich Christen nun gemeinsam mit Muslimen in Flüchtlingsunterkünften vor, subjektiv also genau mit den Menschen, vor denen sie geflohen waren.

Neben den traumatischen Erfahrungen, die plötzlich wieder lebendig werden, kommen kulturelle Gegensätze, vor allem während des Ramadan, auf, die zu Spannungen führen. Fastende Muslime und essende Christen leben in derselben Einrichtung in einer ohnehin schon angespannten Situation von räumlicher Enge und sommerlich überhitzten Unterkünften. Nicht alle Spannungen, die auftreten, sind religiöser Art, sondern haben einfach mit kulturellen Unterschieden (Essensgewohnheiten, Kleidung), aber auch mit der grundsätzlichen Notlage zu tun. Daher dient es auch niemandem, eine pauschale Christenverfolgung in Unterkünften zu behaupten und damit alle Nichtchristen in Flüchtlingsheimen unter Generalverdacht der Unterdrückung von Christen zu stellen. Im Gegenteil: Manche Muslime und Christen berichten davon, dass sie schon in der Heimat friedlich als Nachbarn gelebt haben.

Es ist andererseits aber auch blauäugig zu behaupten, Repressalien gegenüber Christen gäbe es in deutschen Flüchtlingsunterkünften nicht. Weder eine scheinbare Solidarität mit christlichen Flüchtlingen, die sich nicht wirklich um die Christen sorgt, sondern populistische Ängste und Islamfeindlichkeit schüren will, noch ein blauäugiges von einer Multikulti-Ideologie geprägtes Leugnen von Problemsituationen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, sind akzeptabel und helfen weiter. Es ist vielmehr Differenzierung und hohe Sensibilität verlangt. Wir brauchen eine ehrliche Aufmerksamkeit, wo Christen unter Druck geraten.

Das hohe Gut der Religionsfreiheit und die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die in unserem Grundgesetz verankert sind, sind ein hohes Gut und müssen auch in Flüchtlingsunterkünften gelten. Hilfreich dürfte sein, wenn Flüchtlinge verschiedenen Glaubens nicht im selben Zimmer untergebracht sind. Eine konsequent getrennte Unterbringung von Christen führt am Ende in der Regel wohl eher zur Ghettoisierung und erschwert die Integration. Eine Zusammenführung von christlichen Flüchtlingen aus der Vereinzelung in Unterkünften aber nimmt christlichen Flüchtlingen ihre Ängste, macht sie stark und wird ihnen helfen, sich in unserer pluralen Gesellschaft zurecht zu finden und zu integrieren. Diesen Weg, in einer pluralen Gesellschaft zu leben, müssen wir christlichen Flüchtlingen allerdings auch zumuten.

Unsere christlichen Sozialverbände und unsere christlichen Gemeinden sind hier besonders herausgefordert. Es wäre gut, und an vielen Stellen geschieht es ja schon, wenn die Gemeinden mit den Christen in den Flüchtlingsunterkünften in Kontakt treten, sie in die Gemeinde einladen und ihnen Heimat geben. Das Gebot der Nächstenliebe, das jeden Menschen einbezieht, unabhängig von Hautfarbe und Religion, ist auch ein Gebot für die Christen unter den Flüchtlingen. Das werden sie aber nur leben können, wenn wir ihnen helfen, ihre Ängste abzubauen.

Monsignore Ulrich Hennes ist Stadtdechant in Düsseldorf und Pfarrer an St. Lambertus