Umfrage: In Europa ist der ESC nur eine Randnotiz
Vom Austragungsort Düsseldorf haben die meisten Europäer zumindest mal gehört — der Song Contest ist vielen aber schnuppe.
Düsseldorf. Am Samstag erreicht der Eurovision Song Contest mit dem Finale seinen Höhepunkt — die Welt schaut auf Düsseldorf. Tatsächlich? Die ganz große ESC-Begeisterung ist in Europa nicht ausgebrochen — haben zumindest die Auslandskorrespondenten unserer Zeitung in Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien und Polen beobachtet.
Ein Mal im Jahr vertauschen Insel und Kontinent die Rollen — Samstag ist es wieder so weit. Ausnahmsweise lachen die Briten übers exzentrische Europa: Mit den seichten Songtalenten des ESC kann die stolze Musiknation wenig anfangen. „Da bekommen Sie mehr Vokuhilas zu sehen als im Fish-and-Chips-Laden, garniert mit merkwürdigen Choreographien und Klettverschluss-Kostümen“, meint der Blogger Matthew Jenkins.
Als „Festival des schlechten Geschmacks“, „Retro-Müll“ oder „70er-Jahre-Disco-Mist“ wird die Veranstaltung verspottet. Allein die Wettbüros freuen sich, weil viele der europaweit 125 Millionen Zuschauern schon vorher auf ihre Lieblingskandidaten setzen und die Kasse klingeln lassen. Auch Reading — Partnerstadt von Düsseldorf — will Samstag feiern und lädt zum Public Viewing und zur Party ein. Lena Meyer-Landrut kommt bei der UK-Presse gnädig weg: Die Daily Mail bezeichnet sie als „unbekümmert“, der Guardian als „keck“ und der Independent als „süß und zurückhaltend“, obschon ihr alter Song Satellite in „verstümmelten Englisch“ dargeboten worden sei.
Für viele Franzosen steht fest: Ihr Kandidat Amaury Vassili ist Favorit für den ESC. Zur Bestätigung verweisen sie auf seinen Spitzenplatz bei den Buchmachern. Von einem kollektiven „ESC-Fieber“ kann in Frankreich aber keine Rede sein. Düsseldorf an sich ist hingegen ein fester Begriff bei französischen Allemagne-Fans. Grund: Die Stadt gilt kulturell als hochattraktiv.
Stünde der schöne Amaury am Ende wirklich auf dem Siegertreppchen, dürfte Düsseldorf in die Geschichte des Chansons eingehen. Denn Frankreich, stolzer Mitbegründer des Grand Prix, wartet lange auf einen Platz an der Sonne. Mit Wehmut erinnern sie sich an die letzte französische Siegerin Marie Myriam. Man schrieb das Jahr 1977.
Die belgische Zeitung „Het Nieuwsblad“ bezeichnet Lena als „nationale Heldin“ in Deutschland, die zu recht erneut für den ESC ausgewählt worden sei. „De Standaard“, ein weiteres Blatt aus dem flämischen Landesteil, lobt die Gewinnerin des letztjährigen Wettbewerbs: „Es ist eine gute Sache, dass so ein junger Hüpfer gewonnen hat.“
Anders als die holländischsprachigen Zeitungen konzentrieren sich die französischen Titel überwiegend auf den belgischen Kandidaten „Witloof Bay“. Hier ergehen sie sich in Spekulationen, wo die „Knoblauch-Bucht“ am Ende landen werde. Platz 24 von 25, vermutete melancholisch „Le Soir“ unter Berufung auf eine Online-Umfrage.
Belgien, so lässt „La Libre Belgique“ verlauten, habe keine Chance, den Wettbewerb zu gewinnen. Im vergangenen Jahr holte der belgische Beitrag mit Tom Dice noch den sechsten Platz. Düsseldorf ist als Veranstaltungsort in der Berichterstattung nur eine Fußnote. Am Samstag erschien in „La Libre Belgique“ ein großer Artikel über Düsseldorf als Stadt der Museen. Keine Zeile jedoch vom Wettbewerb.
Man stelle sich vor, Italien macht nach 14 Jahren endlich wieder beim größten europäischen Musikfestival mit — und niemand bemerkt es. Es scheint auch die italienischen Medien nicht vorrangig zu interessieren. Kurz vor dem großen Song-Ereignis findet man nicht einmal im Kulturteil der großen Zeitungen einen Hinweis auf die Teilnahme Italiens am ESC.
Eine spontane Umfrage in Rom, ob sie Raphael Gualazzi kennen, den 30-jährigen musikalischen Shooting-Star des San-Remo-Festivals, lief komplett ins Leere. „Wie heißt der, das ist ein Musiker? Ach so. Nein, nie gehört.“ Aber zumindest Düsseldorf war allen befragten Italienern ein Begriff. „Das ist doch eine große Stadt in Deutschland.“
In den polnischen Medien standen in den vergangenen Tagen nur die Chancen der eigenen Teilnehmerin Magdalena Tul im Mittelpunkt der Berichterstattung aus Düsseldorf. Bis Dienstagabend — dann verabschiedete sich Tul im ersten Halbfinale vom ESC. Düsseldorf als Austragungsort findet dagegen in der Berichterstattung jenseits von Oder und Neiße bislang kaum Erwähnung. Einige Blätter blickten noch einmal sachlich auf die Entscheidungsfindung und die Wahl Düsseldorfs zurück, blieben aber eine Bewertung schuldig.