Aufführung: Räuberwald statt Disneyland in „Ronja Räubertochter“
„Ronja“ erzählt davon, wie schön und wie schwierig es ist, erwachsen zu werden.
Krefeld. Ronjas Frühlingsschrei erfüllt das ganze Theater. Selbst bei Gewitter und Sturm wäre er bis in die tiefsten Winkel des Waldes zu hören, hinauf in die Türme der Mattisburg und bis unter die Erde, wo die Rumpelwichte wohnen. Es ist der Schrei des Erwachsenwerdens: Genau davon erzählt Astrid Lindgrens zeitlose Geschichte, die wie alle guten Kinderbücher auch ein Elternbuch ist. Am Sonntagabend feierte die Bühnenfassung umjubelte Premiere im Stadttheater.
Das Erwachsenwerden, so lernen es Ronja, ihr selbst gewählter Bruder Birk und vermutlich jeder Mensch, hat zwei Seiten. Es vermittelt ein unvergleichliches Gefühl von Freiheit und Abenteuer, dafür könnte es kein besseres Bild geben als Ronjas und Birks Sommer in der Bärenhöhle. Doch es ist auch verwirrend und gefährlich, und manchmal tut es weh. Beide Seiten fängt die Inszenierung von Gerald Gluth-Goldmann mit viel Gespür ein, die Balkanmusik von Michael Kaden liefert dazu Melancholie und Lebensfreude im Überfluss.
In einer Gewitternacht wird Ronja geboren, nur ein Bündel, das mit Hilfe ihres bärenstarken Räubervaters Mattis (Marco Jorge Rudolph) erst krabbeln, dann laufen lernt. Daraus entwickelt sich ein wirbelnder Wuschelkopf (Vivien Delekta-Dörr), Quintessenz aller furchtlosen Draufgänger-Kinder dieser Welt. Sie zieht aus in den Wald, trifft Gnome mit glühenden Augen und fliegende Druden, die ihr die Augen auskratzen wollen. Gruselig ist das, aber nicht zu sehr. Ronjas Welt ist nun mal kein Disneyland.
Die Geschichte spielt unter Räubern, auch das darf man merken. Es wird derb geschimpft, laut gefurzt und hämisch gelacht, doch kleine Menschen haben vor so was weniger Berührungsängste als manche großen. Dennoch ist dies keins jener Kinderstücke, in dem unablässig gegrölt und dazwischen gerufen wird. Die meisten sind so restlos gefesselt, wie nur Kinder es sein können.
Wirklich kindisch benehmen sich die Erwachsenen auf der Bühne. Als Ronja sich ausgerechnet mit Birk (Daniel Heck), dem Spross einer verfeindeten Sippe, verbrüdert, erklärt Mattis, der alte Dickschädel: „Ich habe keine Tochter mehr.“ Das ist der Punkt, wo es weh tut, Eltern wie Kindern. Astrid Lindgren hätte sich nie angemaßt zu belehren, aber zuhören darf man ihr schon. Diesen Geist pflegt die Inszenierung.
Auch einige der Schauspieler wirken geradezu den Buchseiten entstiegen, allen voran Marco Jorge Rudolph, der einen Pfundskerl von Räuberhauptmann abgibt, stark wie zehn, laut wie 20, ein Brummbär mit einem riesengroßen Herzen. Auch Ronja und Birk treffen perfekt den Ton — selbst in den Szenen, die so stark nach Freiheit schmecken, dass schnell eine Prise Klischee mitschwingen könnte. Sie erinnern sich wohl noch gut, wie das war mit dem Erwachsenwerden.