Filmdreh in Uerdingen: Sinnsuche im Dauerregen
Unter der Rheinbrücke wurden am Mittwoch Szenen für „Puppe“ gedreht. Star des Kinofilms ist Corinna Harfouch.
Krefeld-Uerdingen. Weniger Glamour war nie. Unter der Uerdinger Rheinbrücke stehen ein schäbiger Imbisswagen, zwei Biertische und ein paar Lkw der Firma Hertz. Schnittchen unter Plastikfolie liegen bereit. Es regnet.
Die Laune der Fotografen, die unter der Brücke warten, ist bestenfalls mittelmäßig. Einen Steinwurf weit wird ein Kinofilm gedreht, doch sie dürfen keine Fotos machen, nicht einmal aus der Ferne. Sie könnten ins Bild latschen und die Szene ruinieren.
Als der Star des Films auftaucht, wird die Lage nur geringfügig besser. Corinna Harfouch hasst es, fotografiert zu werden: „Das ist etwas ganz anderes, als vor einer Filmkamera zu stehen.“ Mit professionellem Lächeln lässt sie die Bilder trotzdem zu und setzt sich zum Reporter. Eigentlich hätte sie jetzt Mittagspause.
Corinna Harfouch fixiert ihr Gegenüber aus schmalen Augen, sie sieht so aus, wie man sie oft im Kino erlebt hat, schön, ein wenig spöttisch, kühl bis zur Unnahbarkeit. Sie hat kein Interesse daran, das Eis zu brechen, sie fühlt sich wohl damit. Und hinter ihrem Panzer sagt sie kluge Sachen, die man fast nie von Schauspielern hört. Harfouch hat den Luxus der Prominenz, sie darf die eigene Branche kritisch sehen.
Sie beschreibt, wie das Fernsehen gute Drehbücher in faule Kompromisse verwandelt, weil die Redakteure zu wissen glauben, was man den Leuten zumuten kann und was nicht, was Quote bringt und was zu sperrig ist.
So hat sie es auch bei „Puppe“ erlebt, dem Sozialdrama um Straßenkinder, das sie hier dreht und das teils von öffentlich-rechtlichen Sendern bezahlt wird. „Ich mochte den Ton des Buchs“, sagt Harfouch. „Er war roh und rau, doch man hat ihn geglättet. Viele Köche haben daran rumgerührt.“
Zum Projekt stehen kann sie trotzdem noch: „Ich mache keine Arbeiten, die ich nicht mag.“ Sich nur als prominentes Zugpferd besetzen zu lassen, „wäre doch eine Kränkung für mich als Schauspielerin“. Harfouch sucht lieber die „Sinnlücke“ im Stoff.
Der junge Regisseur Sebastian Kutzli findet es gut, dass sie sich einmischt: „Sie lässt einem nichts durchgehen, sie legt den Finger in die Wunde.“ Den Kampf mit den Redaktionen ist für ihn auch eine Frage der Moral: „Was dürfen wir als reine Unterhaltungsindustrie zeigen?“
Beim Abschleifen der Ecken und Kanten sei viel Realismus geblieben: „Die Geschichte lässt noch Platz für Gedanken. Sie ist traurig und romantisch, aber nicht pathetisch. Wir schmücken uns nicht auf Kosten der Figuren mit geilen Bildern.“
Die sind an diesem grauen Tag in Uerdingen ohnehin schwer zu bekommen. Die erste Szene des Films spielt dort am Rhein — die wilde Flucht der jungen Anna vor Menschenhändlern, bei der ihre Freundin ums Leben kommt — und die letzte Szene, in der Anna mit der Therapeutin Geena (Harfouch) an den Ort dieses traumatischen Erlebnisses zurückkehrt.
Die 22-jährige Anke Retzlaff spielt Anna. Erst zwei Wochen vor Drehbeginn wurde sie besetzt, an ihrer Schauspielschule in Rostock ließ sie sich fix beurlauben. Nach 25 Drehtagen in der Schweiz und Bayern steht sie nun munter und frisch geduscht im Uerdinger Regen, und man weiß sofort, dass sie die „ungeheure Kraft“, die sie in ihrer Figur erkennt, glaubhaft darstellen kann. Ob sie vor dem Foto noch mal in die Maske will? „Nö“, sagt sie — und rettet damit nebenbei auch den Tag der Fotografen.