Marathon in Istanbul: „Der Start, das Ziel und dazwischen laufe ich“

Zwei geistig behinderte Läufer erfüllten sich mit der Teilnahme am Istanbul-Marathon einen Lebenstraum.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld/Istanbul. Uwe Ortmanns ist erschöpft und glücklich. Nicht nur vom Laufen, sondern auch von einer langen Reise. Am 16. November nahm er mit seinem Freund Michael Küssner am Istanbul-Marathon teil. Begleitet und in ihrem Wunsch gestärkt, hat die beiden geistig behinderten Läufer Jochen Kamps.

Ortmanns ist Freizeitpädagoge bei der Dr. Ulrich-Lange-Stiftung (kurz „DULST“), die stationäre Wohngemeinschaften und ambulante Assistenz für Körper- und Mehrfachbehinderte anbietet. Uwe Ortmanns und Michael Küssner lebten zusammen mehrere Jahre in den Wohngemeinschaften der „DULST“. Heute wohnen sie in ihren eigenen Wohnungen und werden ambulant von den Mitarbeitern der Stiftung betreut. Beide arbeiten in Werkstätten des Heilpädagogischen Zentrums Krefeld (HPZ). Ortmanns als Maler und Anstreicher und Küssner als Gärtner.

„Mit meiner Tätigkeit als Pädagoge will ich positive Erlebnisse ermöglichen, die auch über schwere Zeiten hinweg helfen“, sagt Jochen Kamps. Der Pädagoge nimmt selbst seit gut zehn Jahren an Marathonläufen teil. Ein „positives Erlebnis“ wollte Kamps auch schon im Jahr 2012 ermöglichen. Er flog zusammen mit Uwe Ortmanns über den großen Teich, um an dem legendären New York-Marathon teilzunehmen.

Für den 39 Jahre alten Uwe Ortmanns, der schon lange in der Laufgruppe der „DULST“ und in einem Leichtathletikverein trainiert, platzte damals ein Traum, für den er viel getan hat. Bei einem Krankenhausaufenthalt im Jahr 2009, wurde er durch eine TV-Reportage auf den New York-Marathon aufmerksam. „Uwe liebt einfach alles, was mit Amerika zu tun hat“, weiß Jochen Kamps.

Die Liebe reichte so weit, dass der USA-Fan seine große Sammlung von alten Modellautos und Antiquitäten aus der Kaiserzeit auf dem Trödelmarkt verkaufte, um die Reisekosten über 2800 Euro aufbringen zu können. Unterstützt wurde er dabei vom „Trödel-King“. Ein mittlerweile eingestelltes Fernsehformat des WDR, bei dem Verkaufsexperte Roland Beuge Menschen geholfen hat, ihren Trödel für ein bestimmtes Ziel an den Mann zu bringen.

Uwe Ortmanns und Jochen Kamps konnten durch zusätzliche Unterstützung durch die „Aktion Mensch“ voller Vorfreude nach New York fliegen. Dann machte ihnen jedoch eine Naturgewalt einen Strich durch die Rechnung. Der verheerende Schneesturm „Sandy“ machte New York unsicher und der Marathon wurde abgesagt. „Das war schon deprimierend, aber ich will nochmal nach New York“, kommentiert Uwe Ortmanns den Schicksalsschlag heute.

Damals bewies der 39-Jährige Läufer- und Kämpferherz. Er fing wieder von Neuem an zu sparen und verkaufte eigenständig viele Sachen auf dem Trödelmarkt auf dem Sprödentalplatz. Das Gesparte reichte jedoch nicht für eine Reise in seine Traumstadt New York. Pädagoge Jochen Kamps machte seinen Schützling auf eine verlockende Alternative aufmerksam. Und so kam es am 16. November zum „Happy-End“: Ortmanns lief mit Jochen Kamps die Marathondistanz über 42 Kilometer in Istanbul.

„Das war ein Wahnsinnsgefühl, mit so vielen Läufern über diese riesige Brücke zu laufen“, sagt Ortmanns. Der Istanbul-Marathon ist einzigartig, weil die Läufer gleich auf zwei Kontinenten unterwegs sind. Schon zu Beginn geht es über die gut 1,5 Kilometer lange Bosporus-Brücke.

Diese überquerte auch Michael Küssner, der in Istanbul zum ersten Mal eine Distanz von zehn Kilometer bewältigte. Der 50 Jahre alte Freund von Uwe Ortmanns bewies damit seinen Kritikern, dass er trotz Übergewicht und einer schweren Spastik in den Beinen an einem Lauf teilnehmen kann. Einige seiner Arbeitskollegen im HPZ hatten sein Vorhaben zuvor belächelt. „Die können sagen, was die wollen, ich kämpfe“, sagt Küssner dazu.

Das Durchhaltevermögen hat sich für Küssner und Ortmanns gelohnt. Bei einem türkischen Frühstück im Gemeinschaftsraum der „DULST“ zeigten sie jetzt stolz ihre Medaillen. Dort steht auch en von Ortmanns gefertigtes Kunstwerk: Zwei golden eingefärbte Laufschuhe mit jeweils einem kleinen Plastik-Flügel an der Seite, die auf einem Siegerpodest befestigt sind. Auf Letzterem hat der leidenschaftliche Läufer sein Motto verewigt: „Hier ist der Start, da ist das Ziel und dazwischen laufe ich.“