Krefelder Adventsserie „Für einige bringen wir auch ein bisschen Licht ins Leben“
Serie | Krefeld · Die Tafeln in Deutschland stehen unter Druck, auch die in Krefeld. Gisela Kauzleben engagiert sich wie viele Ehrenamtler. So schätzt sie die Lage ein.
Die Preise steigen, die Armut auch. Immer mehr Menschen können ihr Leben nicht mehr finanzieren, weil die Kosten zu hoch sind. Bei Lebensmitteln sind die Preise in den vergangenen Jahren um 35 Prozent im Durchschnitt angezogen, Mieten steigen, die hohe Inflationsrate hat die Situation vieler Menschen verschärft. Angewiesen sind sie daher häufig auf die Versorgung mit Lebensmitteln durch die Tafeln.
In der Ausgabestelle Stadtmitte an der Königstraße gegenüber der Mediothek warten bereits rund 20 Tafel-Kunden im Flur. Es ist 12.25 Uhr, in fünf Minuten beginnt die Ausgabe der Nahrungsmittel. Gisela Kauzleben trifft mit den Mitarbeiterinnen letzte Absprachen. Rund zehn Frauen organisieren die Verteilung der Lebensmittel. In dem Gebäude war einst die Wohnstätte Krefeld zu Hause, in deren alte Büros in Parterre werden nun die Lebensmittel ausgegeben – Backwaren sind im ersten Raum, dann geht es einen Raum weiter zum Gemüse, im dritten Raum werden Fleisch, Joghurt, Milch und Trockenware ausgegeben, ehe zum Abschluss noch Obst und Salat zur Mitnahme bereitstehen.
Die Tafeln stoßen an
ihre Kapazitätsgrenzen
Die Tafeln stoßen an ihre Kapazitätsgrenze, müssen mitunter drastische Maßnahmen ergreifen: Aufnahmestopp. Hauptgrund für den Andrang auf die Tafeln ist der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Seither verzeichneten die Tafeln im bundesweiten Durchschnitt 50 Prozent mehr Kundinnen und Kunden. Gisela Kauzleben bestätigt das, strahlt aber eine beruhigende Gelassenheit aus. Sie kennt sich aus. Bei der Tafel hat sie schon ausgeholfen, als sie am ehemaligen Arndt-Gymnasium noch Mathematik unterrichtete. Seit ihrer Pensionierung engagiert sie sich noch mehr bei der Tafel. Sie leitet die Ausgabestelle in Gartenstadt und hilft in Stadtmitte aus, sagt zu ihrer Motivation: „Ich will mit Menschen zu tun haben. Das war an der Schule so und jetzt ist es mit unseren Gästen auch so. Und es ist schön, anderen zu helfen und an verschiedenen Lebensläufen teilzunehmen. Für einige bringen wir auch ein bisschen Licht ins Leben, indem man jemanden hilft und mit ihm spricht.“
Die meisten der 970 Tafeln in Deutschland sehen sich angesichts von immer mehr Bedürftigen dazu gezwungen, die Menge der ausgegebenen Lebensmittel stärker zu rationieren. Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Tafel-Dachverbandes, sagte jüngst in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): „Ein Drittel versucht, sich mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten zu helfen, die sie nach Möglichkeit abarbeiten. 60 Prozent der Tafeln müssen die Menge der ausgegebenen Lebensmittel reduzieren.“ 1,6 Millionen Armutsbetroffene gebe es in Deutschland. Renten und Löhne seien nicht im gleichen Maße gestiegen wie die Lebenshaltungskosten. Steppuhn sagt: „Wenn die Einkommen nicht mitwachsen, nehme die Armut automatisch zu.“ Da müsse der Hebel angesetzt werden.
Seit 2015 mit der Flüchtlingswelle sei der Zulauf angestiegen, sagt Kauzleben. Der Krieg in der Ukraine habe den Bedarf noch einmal erhöht. Um diesem Andrang gerecht zu werden, habe man die Ausgabe der Lebensmittel anders organisiert. Kauzleben: „Wir haben jetzt feste Zeitfenster für die Menschen, die zu uns kommen. Dadurch gibt es kaum mehr Gedränge, was gerade für ältere Menschen nicht immer einfach war. Das System ist rollierend, mal kommt man früh und hat eine üppigere Auswahl an Lebensmitteln, mal kommt man später.“ Das habe sich bewährt, weil es allen helfe, den Bedürftigen und den Tafel-Mitarbeitern.
Die Kindertafel kümmert
sich in Krefeld um 1000 Kinder
In Krefeld hat der Vorstand der Tafel unter der Führung von Hansgeorg Rehbein in einem Brief ein Fazit des Jahres gezogen. 800 Tonnen Lebensmittel sind vor der Vernichtung gerettet worden und an 2500 Bedürftige in sechs Ausgabestellen weitergegeben worden. Um mehr als 1000 Kinder kümmert sich die Kindertafel zusätzlich. Rehbein drückt aber auch seine Sorge aus: „Leider geht auch bei uns die Schere immer weiter auseinander. In diesem Jahr hatten wir seit Februar bereits 353 Neuaufnahmen. Gleichzeitig geht das Aufkommen an Lebensmittelspenden kontinuierlich zurück. Wir haben bisher keinen generellen Aufnahmestopp verfügt, weisen aber Ausgabestellen, die an der Kapazitätsgrenze arbeiten, keine neuen Kunden zu.
Menschen, die zur Tafel gingen, seien nicht nur wirtschaftlich, sondern häufig auch sozial benachteiligt. Rehbein sagt: „Ihnen fehlen die Mittel, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Sie können sich keinen Urlaub leisten, keine großen Geschenke machen, sich keine teuren Musik-, Sport- oder Kulturveranstaltungen leisten. Diese soziale Isolation ist häufig noch schlimmer als die finanziellen Sorgen.“ Ein Grund für die Knappheit der Lebensmittel sei auch, dass der Handel seine Strategien gegen die Verschwendung von Lebensmitteln verbessert habe. Es blieben weniger Lebensmittel übrig als früher. Die Märkte bestellten punktgenauer. Meinung S. 16