Sprühen mit Auftrag: Wie Krefeld bunter werden könnte
An der Inrather Straße gestaltet ein junger Sprayer ein Kunstwerk — als legale Aktion.
Krefeld. Der aufmerksame Passant hat keinen Zweifel: Im düsteren Durchgang zwischen Inrather und Hülser Straße hat er einen dieser kleinen Graffiti-Gangster auf frischer Tat ertappt. „Was tun Sie hier?“, fragt er mit forscher Stimme. „Haben Sie eine Genehmigung?“ Doch der junge Mann mit der Spraydose rennt nicht weg, er zuckt nicht einmal zusammen. Ben Scholten sprüht mit Auftrag, der Hauseigentümer bezahlt ihn sogar dafür.
Der 18-Jährige hat sich der Street-art verschrieben, der Kunst im öffentlichen Raum, zu der auch Graffiti gehört. Dass wütende Hausbesitzer und Ordnungshüter darin ausschließlich einen kriminellen Akt sehen, will Scholten nicht widerspruchslos hinnehmen. „Die Leute müssen weg von diesem RTL-Denken“, findet der Gymnasiast. „Graffiti ist viel mehr als Schmiererei.“
Den Eigentümer des Hauses Inrather Straße 130 hat Scholten, der gleich nebenan wohnt, bereits überzeugt. In 30 Stunden Arbeit hat er ihm im Sommer eine Skizze erstellt, die zeigt, wie bunt und fröhlich sein schäbiger Tunnel aussehen könnte. Der Mann war begeistert und machte 1000 Euro locker — 250 für Material, den Rest für den jungen Künstler.
Das Ergebnis kann sich bereits am zweiten Tag sehen lassen. Ein poppiges Gemälde zum Thema Völkerverständigung soll Wände und Decke des Durchgangs zieren. „Das Motiv hatte ich schon extrem lange im Kopf“, erläutert Ben Scholten, dem die plakative und simple Natur des Werks bewusst ist. „Die Leute gehen hier durch — mehr nicht. Ich wollte etwas schaffen, das sie zumindest kurz bewegt und beschäftigt.“
Genau das fasziniert ihn an Streetart: Sie ist für jeden präsent. „Man sollte Kunst nicht hinter Panzerglas und in Tresoren verstecken“, findet er. „In Galerien und Museen ist sie nur für Leute da, die Geld für den Eintritt haben.“ Streetart hingegen, die auch als Aktionskunst oder in Form von Skulpturen im öffentlichen Raum auftaucht, konfrontiert jeden mit einer künstlerischen Idee — und verändert nebenher das Erscheinungsbild unserer Städte.
Dass ein bisschen mehr Farbe seiner Heimatstadt gut täte, daran hat Scholten keinen Zweifel. Mit politischen Mitteln kämpft er im Jugendbeirat für „legale Wände“ und brütet an vielen Ideen, wie Krefeld bunter und interessanter werden kann. „Ich sehe die Stadt als visuellen Abenteuerspielplatz“, sagt der Schüler des Ricarda-Huch-Gymnasiums.
Dass dies auf juristisch unbedenklichen Wegen viel leichter möglich ist, hat er inzwischen erkannt — und distanziert sich vom illegalen Sprayen. „Die Szene ist mir zu primitiv geworden“, sagt er. „Da gibt es zu viele Halbstarke, die sich beweisen wollen.“ Auch künstlerisch ist ihm Graffiti zu eindimensional. Da es schnell und heimlich entsteht, dominieren Schriftzüge, sogenannte Tags. „Mich interessieren eher Bilder und Farben“, sagt Ben Scholten.
Er wünscht sich, dass Krefeld offener wird, die Menschen neuen kreativen Formen weniger konservativ begegnen: „Hier wird lieber alte Kunst bewahrt als junge zu fördern“, findet der 18-Jährige. „Man muss ja nicht alles toll finden, sollte sich aber zumindest damit auseinandersetzen.“
Für ihn und den Hausbesitzer hat sich die Sache jedenfalls gelohnt: Ben hat Material für die Bewerbung an der Kunstakademie, sein Auftraggeber die Garantie, dass kein Sprayer mehr den gestalteten Tunnel beschmiert. So will es der Ehrenkodex der Szene.