Stolperstein: Tränen in Australien
Der Gedenkstein für Margarethe Papendell rührt ihren Bruder am anderen Ende der Welt.
Krefeld. „Ich musste vor Rührung weinen, als ich davon gehört habe.“ Jakob Papendell (74) spricht vom „Stolperstein“, der auf der Inrather Straße (WZ berichtete) in Gedenken an seine 1943 als Zweijährige verstorbene Schwester Margarethe gelegt wurde. Jakob ist eines der letzten noch lebenden sieben Kindern des Ehepaares Jakob und Elisabeth Papendell. Er lebt seit fünfzig Jahren in Australien.
Die WZ sprach mit ihm telefonisch in seinem Wohnort Miranda, einem Vorort von Sydney. „Margarethe war ein hübsches und aufgewecktes Kind“, erzählt der gelernte Dreher, der es auf dem fünften Kontinent zum Maschinenbauer im Ingenieursrang eines großen Betriebes gebracht hat.
Er kennt auch die Geschichte ihrer Behinderung: „Ein dienstverpflichtetes Kindermädchen ist im Badezimmer ausgerutscht und hat die Kleine fallen lassen. Dabei ist sie mit dem Kopf auf den Wannenrand gestoßen. Seither war sie geistig behindert.“ Wegen dieser Behinderung steckten sie die Nazis 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt in Bonn. Sie war zu diesem Zeitpunkt gut ernährt und gepflegt. Später wurde sie in die Kinderfachabteilung Waldniel verlegt. Jakob Papendell hat das Mädchen als Fünfjähriger mit seiner Mutter besucht. „Ich habe sie als fröhliches und lebhaftes Kind in Erinnerung. Sie konnte bloß ihren Kopf nicht gerade halten.“
Am 30. Juni 1943, kurz nach ihrem zweiten Geburtstag, starb sie offiziell an einer „akuten Herz-Kreislaufschwäche“. So jedenfalls steht es in der erhaltenen Krankenakte. Ihre Eltern, der Vater war ein angesehener Heizungsbauer, wurden erst im folgenden September von ihrem Tod benachrichtigt. Historiker gehen davon aus, dass sie keines „normalen“ Todes gestorben ist. „Das Kind ist nicht abrichtfähig“ ist der Titel einer Dokumentation über die Nazi-Gräuel von Waldniel in den Jahren 1941 bis 1943.
Das einstige Wohnhaus an der Inrather Straße 145 steht nicht mehr. Dort wohnte die kleine Margarethe. Sie kam am 9. Juni 1941 zur Welt. An ihr Leben erinnert nun der Gedenkstein aus Messing, den die Lebenshilfe Krefeld gespendet hat. Das Haus wurde in der bei dem Großangriff auf Krefeld in der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1943 von Bomben zerstört, wie sich Jakob Papendell erinnern kann. Die Familie musste vor den Trümmern und dem Feuer durch mehrere benachbarte Keller flüchten. Fast alle Häuser der Inrather Straße rund um die Annakirche wurden damals zerstört. Heute verläuft dort der Girmesdyk. Mehr als tausend Menschen starben in jener Bombennacht.
Erika Papendell (Jahrgang 1940) ist eine Schwägerin, die heute in Augsburg lebt. Sie war verheiratet mit dem Opernsänger Günther Papendell, einem der Brüder Margarethes. Die in Linn Geborene zog wegen dessen Beruf vor vielen Jahren nach Augsburg. Energisch tritt sie perfiden Aktenvermerken der Nazis entgegen, Margarethes Mutter Elisabeth hätte nicht lesen und schreiben können: „Sie konnte sehr wohl lesen und schreiben. Sie war eine ausgezeichnete Skatspielerin.“ Ihr Schwager Jakob aus Australien ergänzt: „Unsere Mutter hat uns Kindern abends vor dem Schlafen gehen immer Geschichten aus Märchenbüchern vorgelesen. Sie war eine gebildete Frau.“
Erikas Sohn Günter Papendell, trat in die Fußstapfen seines Vaters. Er ist heute ein bekannter Opern-Bariton, der auf großen Bühnen Europas gefeiert wird. Mutter und Sohn finden die Aktion Stolpersteine im Fall Margarethes „sehr rührend“, weil hier auch an ein unschuldiges junges Leben erinnert wird, das nur seiner Behinderung wegen sein Leben lassen musste.
Gerade dieser Gedanke sei es gewesen, erklärt Ilja Wöllert, pädagogischer Leiter der Lebenshilfe in Krefeld, weshalb seine Organisation die Aktion des Künstlers Gunter Demnig unterstützt hatte. „Wir wollten an Margarethes Beispiel verdeutlichen, dass dem Nazi-Terror auch zahlreiche Menschen mit Behinderungen zum Opfer gefallen sind.“
Nach Auskunft von Erika Papendell leben zwei weitere Neffen von Margarethe in Krefeld. Hermann Papendell auf der Traarer Straße und Hans Papendell. Neben Jakob lebt nur noch seine zehn Jahre jüngere Schwester Rosemarie in Augsburg. Schwägerin Erika will als kleines Dankeschön für den Stolperstein eine Spende an die Krefelder Lebenshilfe überweisen. Jakob in Australien überlegt jetzt, ob er noch einmal seine alte Heimat in Europa besucht. „Dann werde ich mir natürlich auch den Gedenkstein ansehen und Blumen mitbringen.“