Tränen, Blut und blankes Entsetzen
Wie die Rave-Party in Duisburg zum Albtraum wurde – ein Situationsbericht.
Duisburg. Samstag, kurz vor 17 Uhr: Im Tunnel unter den Eisenbahngleisen marschiert die Loveparade in die Todesfalle. Aus zwei Richtungen strömen Zigtausende aufeinander zu, um dann im rechten Winkel die Rampe zum Partygelände hinaufzugehen. Abertausende kommen ihnen entgegen, die schon genug gefeiert haben - für so viele Menschen ist schlicht kein Platz mehr.
Es bricht Unruhe aus. Mehrere Besucher warnen die Beamten vor dem Andrang - doch die reagieren vorerst nicht. Erst später versuchen sie, die Menschen zu beruhigen. Ohne Erfolg.
Menschen versuchen mittlerweile, die Wände zu erklimmen, um der Enge zu entkommen. Sie flüchten über eine Treppe oder ein Metallgerüst. Ein Mann versucht an einem dünnen Kabel die Mauer emporzuklettern. Zwei, drei Meter schafft er es, dann stürzt er in die Menge.
Nach und nach kommen immer mehr Menschen aus der Menge - viele humpeln, halten sich die Hände vors Gesicht, manche weinen hemmungslos. Ein Junge liegt zitternd am Boden. Sanitäter versorgen ihn.
Gedränge, Stürze, Panik, Tote: Dutzende Besucher werden von den Sicherheitskräften aus den Massen gezogen. Es kommt zu Schlägereien unter den Besuchern; Menschen fallen hin und können nicht mehr aufstehen, weil von hinten weitere Personen nachströmen. Erzürnte Raver werfen Flaschen auf Polizisten.
"Es ist voll, es ist nur noch voll", berichtet ein Polizeisprecher. Die etwa 150 Meter lange Tunnelröhre ist übersät mit den Latexhandschuhen der Notfallmediziner. Infusionsröhrchen liegen herum, in zerknitterten Rettungsdecken spiegeln sich Blaulichtblitze.
Die Sirenen der Krankenwagen und Polizeifahrzeuge schrillen durch das ruhige Wohnviertel in der Nachbarschaft des alten Güterbahnhofs, das Gedröhn von Hubschraubern ist jetzt allgegenwärtig.
Auf dem Gelände geht die Feier mit ihren wummernden Bässen weiter, aber von Partystimmung ist nichts mehr zu spüren. Wie abwesend blicken viele auf die vorbeiziehenden Wagen. Eine zweite Panik soll vermieden werden, man hofft auf ein ruhiges Auslaufen des Riesenfestes.
Fassungslos hocken junge Menschen vor dem Tunnel, Bierdosen in der Hand. Aber manche, die angesichts der Tragödie nicht mehr auf das Gelände dürfen, wissen zunächst nicht, was sich gerade abgespielt hat: "Ich bin 360 Kilometer gefahren und komme jetzt nicht auf die Party", empört sich ein herausgeputzter junger Mann aus Baden-Württemberg im Glitzerhemd. Mit der Bierdose grüßend zieht er von dannen.
Eine ebenfalls unwissende Jungmännergruppe in Unterhemden ist genervt: "Duisburg hat in Sachen Loveparade versagt", schimpft ein 22-Jähriger aus Menden. "Wir wurden abgeblockt. Um 15 Uhr wurden wir schon nicht mehr reingelassen, von Polizeiabsperrung zu Polizeiabsperrung geschickt. Das ist doch eine Frechheit."
Später ahnen sie, dass etwas nicht stimmt: "Geht da nicht mehr hin", werden sie von Menschen gewarnt, die ihnen entgegenkommen und denen das Entsetzen in den Gesichtern geschrieben steht. Dann erst sehen sie das Blut, hören die Rettungshubschrauber.
19 Uhr: Jetzt ist hier kaum noch jemand im Tunnel, der keine Uniform trägt. Die Polizei bereitet die Beweisermittlung vor, die Rampe wird gesperrt. Ein Bus wendet, drinnen Verletzte. Einer trägt einen Kopfverband, andere hüllen sich in Wärmedecken. Sie haben die Katastrophe überlebt, durch den Todestunnel werden sie zum Krankenhaus gefahren.