70. Jahrestag NRW Feierstunde der NRW-CDU: Blüms Botschaften

Der 81 Jahre alte Ex-Arbeitsminister aus dem Kabinett Kohl zeigt in einer Feierstunde der NRW-CDU seiner Partei die großen Linien auf - und ein bisschen von sich.

Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm hielt zum 70. Jahrestag von Nordrhein-Westfalen eine Rede bei der CDU-Feierstunde.

Foto: CDU

Düsseldorf. Norbert Blüm sitzt auf einem einzelnen Stuhl mitten im Plenarsaal. Das sieht ein bisschen witzig aus, Blüms Beine reichen gerade bis zum Boden, und er sitzt da jetzt ziemlich alleine, etwas entrückt von den Abgeordnetenbänken. Blüm schaut einigermaßen regungslos, ein bisschen treuherzig auch. Wie er eben immer geschaut hat in seinem Leben, das größtenteils ein Politiker-Leben war. Und um ihn herum klatschen Dienstagabend die CDU-Parteifreunde aus Vergangenheit und Gegenwart anhaltend. Blüm ist inzwischen 81 Jahre alt - also wohl doch mehr Freunde aus der Vergangenheit - aber mit seiner Rede zum 70. Jahrestag von Nordrhein-Westfalen hat er sie gerade eben alle bekommen.

Der ehemalige Arbeitsminister aus dem Kabinett von Helmut Kohl - 16 Jahre lang hat er das gemacht - nimmt das zur Kenntnis, er freut sich still in sich hinein. Reden kann er, das hat er Jahrzehnte gemacht. Jetzt ist er ein bisschen erschöpft. Aber: Dass er die CDU-Leute der Gegenwart noch begeistern kann, ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Manchen von ihnen ist Blüm ein bisschen zu sozialromantisch geworden mit den Jahren, manchmal geht er sie auch unverblümt an, weil ihm nicht alles gefällt, was in seiner Partei passiert. Aber Blüm spricht jetzt und hier zum Thema „Mein NRW“, das ist weniger verfänglich als in diesen Tagen über Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern oder auch die Situation der CDU in der NRW-Opposition zu fabulieren.

In NRW jedenfalls fühlt sich der Bonner Blüm zu Hause. „Ich bin Nordrhein-Westfale mit Migrationshintergrund“, sagt der gebürtige Rüsselsheimer ob seiner hessischen Wurzeln. Zwei Drittel seines Lebens aber hat er in Nordrhein-Westfalen verbracht. Und es lieben gelernt, vor allem in Wahlkämpfen, „meist sechs bis acht Auftritte am Tag, dazwischen kurz geschlafen, manchmal wusste ich gar nicht mehr, wo ich bin“, erzählt er.

Und gerne hat er es auch an der Theke kennengelernt: „Die Theke ist die Kommunionbank in Nordrhein-Westfalen.“ Ein Land der Unterschiede, die zusammengeführt wurden. Oder immer noch werden. Das ist das große Thema bei dem alternden Norbert Blüm, der im vergangenen Jahr auf sich aufmerksam gemacht hat, als er sich 80-jährig für eine Nacht ins Flüchtlingslager Idomeni in ein Zelt legte, um auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Von Unterschieden zu Kompromissbereitschaft, in der Gesellschaft, wie in der Kirche. Blüm ist Sohn einer evangelischen Mutter und eines katholischen Vaters. „Sie haben sich bis an ihr Ende geliebt - und ich sie auch. Da habe ich gelernt: Die Grenzen der Kirche sind nicht die Grenzen der Liebe.“

Kompromissbereitschaft begegnet man bei ihm aber auch auf anderen Ebenen: Etwa wenn er den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zu den großen Figuren von NRW zählt, im gleichen Atemzug aber eine Geschichte aus Rheinhausen zum Besten gibt. Dort sei er, Blüm, mit Eiern und Tomaten beworfen worden. Die Demonstranten riefen „Krieg den Palästen, Friede den Hütten“. Blüm: „Mich rechneten sie offenbar den Palästen zu, und Johannes Rau sang gemeinsam mit den Demonstranten das schöne Lied Blumen und Rosen.“

Wenn Blüm redet, predigt er. Das konnte er schon immer, es ist ein großer Bogen, den er schlägt an diesem Abend, er kommt aber auch immer verlässlich auf sein Thema zurück: „Ich bemesse die Kultur eines Landes an zwei Dingen: an den Kneipen und Kirchen. Und unter dem Gesichtspunkt ist NRW ein Hochkulturland.“ Mit besonderer Begeisterung spricht er von den „Futurologen“, die 800 Jahre am Kölner Dom gebaut hätten und glaubt, dass heute niemand mehr etwas anfassen würde, was zu dessen Lebzeiten nicht mehr fertiggestellt würde. So zioeht der Historiker Blüm immer wieder Lehren aus der Vergangenheit und transferiert sie auf die Gegenwart. Manchmal bisweilen zu rückwärtsgewandt, oft aber auch inspirierend. Er zitiert Heinrich Böll, dem es im Revier immer nach Mensch roch. Und findet das großartig. „Der Menschenschlag, der mit der Kohle geht, er soll uns nicht verloren gehen.“

Die Knappschaftskassen hält er noch heute für eine Errungenschaft, wie eben jene Kompromissfähigkeit, die größte der Menschen, mit der die Republik weiter gekommen sei. „Sie zwingt uns, mit dem Kopf der anderen zu denken.“

Und dann ist er auch beim großen Thema Europa, spricht vom „schönsten Satz des Grundgesetzes“ („Die Würde des Menschen ist unantastbar“), warnt, dass es nicht heiße: Die Würde des Deutschen ist unantastbar und glaubt, dass der Nationalstaat „seine beste Zeit hinter sich hat. Er ist eine Zwischenstation, weder natur- noch Gott gegeben“.

Das ist sein Aufruf in den NRW-Plenarsaal, auch eine Warnung an seine Partei, sich wieder mehr für Europa einzusetzen. Die CDU, sagt er, müsse wieder Europa-Wahlkämpfe führen. „Ich weiß nicht“, ruft Blüm, „ob wir die Bonner Republik genug gewürdigt haben. Von ihr gehen jetzt 70 Jahre Frieden aus. Ist das nichts?“ Für die großen Fragen wie den Terror sei der Nationalstaat zu klein. Für die kleinen zu groß. „Familie, Zusammenleben, Heimat“, sagt Blüm, das zu vereinbaren sei die Aufgabe der nachwachsenden Generation. Dann geht der „Sozialist“, wie ihn Fritz Berg, erster Präsident des BDI, einst geschimpft habe. Blüms Antwort seinerzeit: „Wenn Sie etwas anderes sagen würden, wäre ich beunruhigt."