Landtag feierte sein 70-jähriges Bestehen Feierstunde mit viel Lob und kleinen Seitenhieben gegen politische Gegner
Düsseldorf. Wer Norbert Lammert einlädt, weiß für gewöhnlich, was er bekommt. Fein gegossene Ansichten und feinsinnige Weisheiten, manche ironische Anschauung und allemal viel Sinn für große Historie.
All jene Zutaten steckten in der Rede des Bundestagspräsidenten, die der am Mittwochmorgen im NRW-Landtag zu dessen 70-jährigen Bestehen hielt. In jenem Haus am Rheinufer in Düsseldorf, in dem der 67 Jahre alte CDU-Politiker Lammert selbst nie gesessen hat. Lammert lebt(e) zusammen mit seiner Frau Gertrud - sie haben vier Kinder - zuerst in seiner Geburtsstadt Bochum und später dann in Berlin.
Am Mittwoch bekam von Norbert Lammert, der sich 1995 parteiintern um die Spitzenkandidatur der CDU im Land beworben hatte, seinerzeit aber in einem Mitgliederentscheid Helmut Linssen unterlegen war, auch eine kleine Nachhilfe in Sachen Parteipolitik. „Mir ist nicht entgangen“, sagte Lammert ziemlich früh in seiner Rede, „dass das Land zwar noch immer das größte ist, aber nicht mehr das unbestritten stärkste unter den Bundesländern.“ Und viel später mahnte Lammert, NRW müsse der „Versuchung widerstehen, die finanzielle Beteiligung des Bundes für wichtiger zu halten als die Wahrnehmung eigener Zuständigkeiten“. Beifall von CDU und FDP, Schweigen bei SPD und Grünen.
Das saß und klingelte in den Ohren der zum größten Teil anwesenden Mitglieder der Landesregierung. Und regte manchen Abgeordneten des NRW-Landtags gehörig auf: „Nicht mal eine Feierstunde kann der ein oder andere einfach mal mit Stil begehen“, twitterte der Grünen-Abgeordnete Norwich Rüße. Und die lebendige Demokratie setzte sich im virtuellen Raum munter über eine Replik des FDP-Abgeordneten Dietmar Brockes fort: „Leider hat er Recht. Immer wieder verkauft sich NRW unter Wert! Unser Land kann mehr, wird aber schlecht regiert!“
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft widerstand derweil der Versuchung, auf derart unverhohlene Kritik in einer Feierstunde für den nordrhein-westfälischen Parlamentarismus direkt eine Antwort zu geben. Wenngleich auch die Landeschefin nicht ohne Seitenhieb in Richtung Lammert auskam: „Ihr gerade gehaltenes Plädoyer für den Föderalismus würde ich gerne einbringen in den Länderfinanzausgleich, der gerade verhandelt wird“, sagte Kraft zu Beginn ihrer Ausführungen, während derer sie es für „bedenklich“ hielt, dass der Respekt gegenüber der Arbeit von Politikern abnehme. „Wir dürfen nie aufhören für Vertrauen in unsere Demokratie und unserer Parlamente zu werben“, sagte Kraft wünschte dem Haus "Gottes Segen" und dem Parlament ein "Glück auf".
In den Fokus stellte auch die Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD) die Arbeit der Abgeordneten und die Aufforderung zur lebendigen Verteidigung der Demokratie. Die „Hetze, Pöbeleien und der erschreckende und unverhohlene Hass“ bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden müssten „stark machen im Eintreten für Demokratie, Toleranz und Freiheit“, sagte Gödecke.
Lammert hob zunächst auf die Vielfalt Nordrhein-Westfalens ab, stellte fest, dass sowohl rheinische Prinzipienfestigkeit als auch westfälische Anpassungsfähigkeit dem Land und dem Parlament immer gut bekommen seien und deutsche Politiker-Größen wie "Konrad Adenauer, Gustav Heinemann, Heinrich Lübke oder Walter Scheel und Johannes Rau" daraus hervorgegangen seien. Dem Parlament gab er mit auf den Weg, es müsse „lernfähig sein, aber es sollte nicht wankelmütig sein“.
Wichtig sei die Glaubwürdigkeit, was da verloren gehe, könne man durch Popularität niemals ausgleichen. Streits seien dabei ein „Gütesiegel“ der Parlamente, aber Diffamierungen müssten vermieden werden. Der Bochumer scherzte, als er davon erzählte, der WDR habe ihn gebeten, er dürfe gerne etwas länger, "aber keinesfalls kürzer als 25 Minuten reden". Für einen Politiker sei das ein Geschenk. Lammert: "Meine Begeisterung für den WDR hilft mir über manche frühere Enttäuschung hinweg".
Zeit also, die Lammert nutzte, um von der jungen Generation mehr Politikteilhabe einzufordern. "Die jungen Menschen sollten die öffentlichen Angelegenheiten für ihre Angelegenheiten halten", sagte Lammert und folgerte: "Wer sich zu gut für die Politik hält überlässt sie jenen, die er für schlechter hält. Politik kann immer nur so gut sein wie die Leute, die sich dafür zur Verfügung stellen.“