Gastbeitrag Heiko Maas: „Wenn wir Europa den Populisten überlassen, dann führt das ins Chaos“

Exklusiv | Berlin · Bundesaußenminister Heiko Maas ruft die Bürger auf, bei der Europawahl am 26. Mai wählen zu gehen. Eine niedrige Wahlbeteiligung helfe nur den Extremisten, schreibt Maas in einem Gastbeitrag für unsere Redaktion.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

„Europa ist tot!“, „Moskau wird gewinnen“, „(R)aus und vorbei“. Nach der letzten Schicksalswahl überschlugen sich die europäischen Zeitungen mit drastischen Titelseiten. Es waren erste, fassungslose Reaktionen auf das Abstimmungsergebnis zum Brexit vor drei Jahren. Die Briten hatten entschieden. Doch das Ergebnis, das war sofort klar, trifft ganz Europa.

In knapp zwei Wochen wählt Europa. Wieder wird es eine Schicksalswahl. Zwei Dinge aber haben wir spätestens aus der Brexit-Abstimmung und allem, was seither passiert ist, gelernt:

Erstens: Wenn wir Europa den Populisten überlassen, dann führt das ins Chaos. Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung oder Migration löst keiner von uns national. Nur gemeinsam, als vereintes Europa, haben wir genug Gewicht, um auf der Weltbühne mitzureden.

Die Nationalisten haben auf diese Herausforderungen keine Antwort. Ihr Aufstieg fußt auf dem Schüren von Ressentiments und Ängsten. Sie verdanken ihn allerdings auch der Sorge vieler Bürgerinnen und Bürger, überrollt zu werden von ungesteuerter Globalisierung, abgehängt vom rasanten digitalen Fortschritt. Wenn wir das Friedensprojekt Europa, unser Europa der Freiheit und Toleranz erhalten wollen, dann müssen wir diese Sorge ernst nehmen.

Unsere Antwort lautet: Die EU muss stärker, souveräner und sozialer werden.

Stark ist Europa, wenn wir die Gräben überwinden, die Finanzkrise und Migrationsdebatte gerissen haben. Wenn wir unsere gemeinsamen Werte achten. Auf Rechtsstaatlichkeit kann es keine Rabatte geben. Wirtschaftlich ist die EU bereits heute eine Weltmacht – das müssen wir nutzen im Kampf für gerechte Globalisierung und faire Standards, so wie wir es bei den Handelsgesprächen mit den USA oder beim Verhandeln moderner Freihandelsabkommen tun.

Souverän ist Europa, wenn es seine Werte und Interessen auch in Zeiten von „America first“, „Russia first“ oder „China first“ durchsetzen kann. Die EU muss außenpolitikfähiger werden. Der Zwang zur Einstimmigkeit führt dazu, dass immer der Langsamste die Geschwindigkeit bestimmt. Damit muss Schluss sein – damit wir auch gegen Widerstände vorankommen in der Klimapolitik, bei Fragen der Abrüstung oder bei den Menschenrechten.

Sozial ist Europa, wenn die Bürgerinnen und Bürger überall in Europa spüren: Der Mensch, nicht der Markt, steht im Mittelpunkt unseres gemeinsamen Handelns. In den letzten Jahren wurde zu viel über grenzenlose Warenströme, Finanzdienstleistungen und Großkonzerne gesprochen - aber zu wenig über grenzenlose Arbeitnehmerrechte, Mitbestimmung, Gleichberechtigung, Arbeits- und Ausbildungschancen. Wir brauchen endlich eine echte europäische Sozialunion, in der soziale Sicherheit und Mitbestimmung gleichberechtigt neben dem Wirtschaftswachstum stehen. Sozialer Zusammenhalt ist das beste Mittel gegen Nationalisten und Populisten.

Die zweite Erkenntnis des Brexit-Referendums ist: Wahlen machen den Unterschied! Wer nicht wählt, unterstützt diejenigen, die Europa zerstören wollen. Eine niedrige Wahlbeteiligung hilft nur den Extremisten.

Darum ist es wichtig, am 26. Mai zur Wahl zu gehen und seine Stimme abzugeben, für Europa. Für Frieden, für europäische Werte und für sozialen Zusammenhalt, um den die Welt uns beneidet. Und für eine Titelseite, auf der steht: „Rekord-Wahlbeteiligung. Gewonnen hat Europa!“