Angriff der Olympia-Dinos: „Ü40“ greift nach Gold
Sotschi (dpa) - Sie verschmähen Alkohol und Schokolade, sie quälen sich bis zum Umfallen und schütteln über die Marotten der Youngster manchmal den Kopf. Die Olympia-Dinos der Generation Ü40 blasen bei den am Freitag beginnenden Olympischen Winterspielen in Sotschi zum Großangriff.
Noch nie waren so viele über 40 Jahre alte Topsportler Kandidaten für olympische Podestplätze. Claudia Pechstein scheint vor ihren sechsten Winterspielen so gut in Form wie einst vor 22 Jahren in Albertville, als sie mit 19 Jahren ihre erste Olympia-Medaille im Eisschnelllauf erkämpfte. Doch mit Schaudern erinnert sie sich an die Spiele in Vancouver, bei denen sie wegen ihrer Sperre mit dem Fernsehsessel vorlieb nehmen musste. „Das war ein Scheißgefühl. Und die Wut über diese ungerechtfertigte Sperre kocht immer noch in mir, ich bin um die Spiele betrogen worden. Doch ohne diese Motivation wäre ich heute nicht mehr dabei“, meinte die 41-jährige Berlinerin, die davon träumt in Sotschi ihre zehnte Olympia-Medaille nachzuholen.
Im Moment wird in der deutschen Sportspitze heiß diskutiert, ob sie trotz „eines der komplexesten Fälle der Sportgeschichte“, wie es DOSB-Chef Alfons Hörmann formulierte, die deutsche Fahne bei der Eröffnung tragen darf. Hingegen werden am Freitag Skisprung-Oldie Noriaki Kasai und Rodel-Legende Armin Zöggeler definitiv die Banner der Teams aus Japan und Italien in die Arena des Olympia-Parks tragen. Kasai ist mit 41 Jahren der älteste Athlet im Aufgebot der Asiaten und erlebt neben dem russischen Rodler Albert Demtschenko als erster Athlet der Olympia-Geschichte seine siebten Winterspiele.
„Hut ab. Das ist einfach unglaublich“, sagte der Deutsche Severin Freund staunend über den Japaner, nachdem sich dieser vor drei Wochen am Kulm zum ältesten Weltcupsieger der Skisprung-Geschichte gekrönt hatte. „Es ist faszinierend, wie er die Grenzen im Kopf verschiebt“, lobte Bundestrainer Werner Schuster den Schanzen-Opa, der schon vor 22 Jahren Weltmeister war. „Ich habe kein Geheimnis, aber natürlich habe ich inzwischen viel Erfahrung“, sagt Kasai.
Wie Pechstein und Kasai weiß auch Super-Biathlet Ole Einar Björndalen genau, wie er seine Kräfte einteilen muss. „Ich lege extrem viel Wert darauf, richtig zu regenerieren. Und man muss eine große Motivation haben, um so lange dabei zu bleiben“, sagte der Norweger, der sich selbst zu seinem 40. Geburtstag vor wenigen Tagen keine Tropfen Alkohol gönnte. „Ich fühle mich sehr jung. Ich habe große Lust zu gewinnen“, bekannte der sechsmalige Olympiasieger, der bisher elf Olympia-Plaketten sein Eigen nennt. „Ich bin im Kopf nicht sehr viel älter als die Jungen.“
Seine Marotten sind fast so legendär wie seine Erfolge. Björndalen gurgelt früh schon mal mit Cognac, schüttelt keine Hände, hat immer einen Staubsauger sowie Desinfektionsmittel dabei und spielt nie Fußball oder Squash. Alles nur aus einem Grund: Um nicht krank zu werden oder sich nicht zu verletzen. Durch 39 WM-Medaillen und 169 Podiumsplätze sieht sich der „Kannibale“ in dieser Linie bestätigt.
Was Björndalen im Biathlon, das ist Zöggeler Feld der Rodler. Vor 20 Jahren gewann er seine ersten Olympia-Medaille, in Sotschi will der Südtiroler Bauernsohn seine Karriere mit dem sechsten olympischen Edelmetall krönen. Nach Sotschi ist für den 40 Jahre alten Rodel-Dino Feierabend. Davor will der Olympiasieger von 2002 und 2006 den deutschen Favoriten um Felix Loch noch einmal das Gewinnen schwer machen. So, wie er sich schon vor 20 Jahren mit dem dreimaligen Olympiasieger Georg Hackl spannende Duelle lieferte.
Auch beim olympischen Eishockey-Turnier ist die Ü40-Fraktion überaus prominent besetzt. Jaromir Jagr wird in Sotschi 42 Jahre alt, er stand schon 1998 beim Gold-Coup der Tschechen in Nagano auf dem Eis. Schwedens Ältester Daniel Alfredsson (41) feierte 2006 in Turin den Olympiasieg. Nur einem künftigen Olympia-Rekordmann fehlt noch der Titel: Finnlands Teemu Selänne, inzwischen 43 Jahre alt, bestreitet seine sechsten Winterspiele, das war vor ihm lediglich Landsmann Raimo Helminen gelungen. Sein Olympia-Debüt gab Selänne vor 22 Jahren - da waren einige seiner jetzigen Teamkollegen noch gar nicht geboren.