Schatten auf Olympia: Neues Dopingmittel aufgetaucht
Sotschi (dpa) - Die Glaubwürdigkeit der Dopingbekämpfung in Russland wird kurz vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi in Zweifel gezogen.
In der ARD-Sportschau und der WDR-Sendung „Sport Inside“ wurde über Geschäfte eines Mitarbeiters der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau mit dem bisher unbekannten Dopingmittel Full Size MGF berichtet. „Es ist dem Wachstumsfaktor IGF 1 ähnlich und als sehr hochwirksam einzustufen“, sagte der Kölner Dopinganalytiker Mario Thevis dem „WDR“.
Damit könne vor allem ein intensiver Muskelaufbau beschleunigt werden. Ein Nachweisverfahren gebe es für das MGF noch nicht. „Die Dopingkontrolllaboratorien können im wesentlichen das testen, was ihnen bekannt ist“, erklärte Thevis. „Und wenn Präparate auf dem Markt oder dem Schwarzmarkt verfügbar sind, die in unserem Protokoll nicht auftauchen, dann sind sie erst einmal unsichtbar.“ Zugleich warnte er vor dem Missbrauch des Moleküls im Sport: „Für dieses Mittel besteht keine klinische Zulassung. Das Gesundheitsrisiko für einen Menschen ist daher nicht abschätzbar.“
Der Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), David Howman, zeigte sich entsetzt und glaubt nicht an dopingfreie Winterspiele in Russland. „Es wäre naiv zu glauben, dass alle Athleten in Sotschi sauber sind.“ Die Vorgehensweise des russischen Forschers hält er für kriminell: „Es ist schockierend, dass ein Wissenschaftler Substanzen anbietet, die bisher noch nicht einmal an Menschen erprobt worden sind“, sagte er. „Die Sportler werden so zu Versuchstieren.“
Erst am vergangenen Freitag waren drei Doping-Fälle im Biathlon bekanntgeworden. Daraufhin zog sich Russlands beste Biathletin Irina Starych nach einer positiven A-Probe vorläufig aus dem Olympia-Team ihres Landes zurück. Die Namen eines weiteren russischen und eines litauischen Biathleten sind nicht bekannt.
„Der Fall bestätigt, dass in Russland alles möglich ist“, sagte der Doping-Experte Fritz Sörgel auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa zu dem neuen Muskelmittel aus dem Olympia-Land. „Ein bisschen erinnert dieser Fall natürlich an die Zeit zum Ende der Sowjetunion, wo man aus Russland viele illegale Dinge bekommen konnte.“ Trotzdem reichen diese Informationen noch nicht für einen Generalverdacht gegen alle russischen Sportler aus - etwa die Biathletengruppe um ihren deutschen Trainer Bichler.
Im Gegensatz zu Thevis ist dem Nürnberger Pharmakologen Full Size MGF schon lange ein Begriff. „Es ist ein Stoff, der im Körper gebildet wird, wenn der Muskel überbeansprucht oder mechanisch verletzt wird und der dann eine Reparatur- und Wachstumsfunktion hat“, erklärte Sörgel. Die Substanz und ihr Einsatz seien nicht neu und schon seit mindestens Anfang des Jahrtausends bekannt. „MGF ist nur eben wenig beachtet gewesen. Oder sagen wir besser: kein Nachweisversuch wurde initiiert“, sagte er. „Natürlich eignet sich der Stoff bestens für Doping.“
Das Mittel könne man auch billig im Internet beziehen. „Für etwas mehr als 20 Euro ist er zu haben“, weiß Sörgel. „Doch dann beginnt russisches Roulette: wie dosieren? Zwischen Goldmedaille und Tod ist alles drin.“