Versprochen, gebrochen: Sotschi siegte mit Mogelpackung
Sotschi (dpa) - Versprochen, gebrochen - mit dieser Formel sicherte sich Sotschi die 22. Olympischen Winterspiele.
Das Prestigeprojekt von Kremlchef Wladimir Putin sollte in einem Umfeld ausgetragen werden, „das Verschiedenheiten feiert, Unterschiedlichkeiten honoriert und frei ist von Streit, Konflikten und dem Geist von Unrecht“. Dazu offerierte Sotschi der olympischen Bewegung „eine außergewöhnliche Gelegenheit, die Umwelt mit der Ausrichtung der Olympischen Winterspiele zu ehren“. Sotschi habe „einen umfassenden Plan entwickelt, um die Spiele mit einem starken Bekenntnis zur Nachhaltigkeit zu inszenieren und gleichzeitig ein Vermächtnis an Umweltbildung, Umweltbewusstsein und Umweltverbesserung zu ermöglichen“.
Solch schöne Sätze durchziehen das gesamte 473-seitige Schreiben, mit dem sich Sotschi 2006 beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) um die Winterspiele beworben hat. Kurz vor der Eröffnung der ersten Winterspiele in Russland erweist sich vieles, was in drei Bänden als „umfassender Plan“ angeboten wurde, als ein gebrochenes Versprechen. Und dem IOC ist vorzuhalten, dass es diese Mogelpackung nicht als solche identifiziert hat. Jedenfalls ging der Bericht seiner Prüfkommission, der 2007 die Grundlage für die Entscheidung der IOC-Mitglieder gebildet hat, mit Milde und Unkenntnis über Widersprüchlichkeiten, Ungereimtheiten und sonstige Untiefen hinweg.
Schon vor acht Jahren war klar, dass der Terror aus dem Nordkaukasus eine besondere Gefahr darstellen würde. Trotzdem bezeichnete sich Sotschi als eine der „sichersten Städte Russlands“. 2005 und 2006 habe es lediglich 27 Demonstrationen gegeben, „friedlich und ohne Festnahmen“. In der Rangfolge der Gefährdungen stehen „Protestaktionen der Anti-Globalisierungsbewegung“ und von „Bürgern gegen Auswüchse und sonstige Unannehmlichkeiten“ an erster und zweiter Stelle. Erst danach führt die Bewerbung „mögliche Bedrohungen von Gruppierungen aus Gebieten auf, die der russischen Staatsgrenze benachbart sind“.
In jedem Fall werde Russland die „günstigsten Bedingungen für friedliche Winterspiele schaffen“. Das IOC banalisierte die besondere Terrorgefahr in und um Sotschi ebenfalls. Die Ringe-Organisation nannte die Sicherheitsproblematik ein „globales Besorgnis“ und hielt deshalb eine Unterscheidung zu Sotschis Mitbewerbern Salzburg und Pyeongchang für unnötig. Immerhin lobten die IOC-Prüfer die „klare Linie der Befehlsgewalt durch die Regierung. Russland hat die Erfahrung, die Fähigkeit und die technischen Mittel, um die Spiele in einem sicheren, gesicherten Umfeld auszurichten“.
Auch der Zusage Sotschis, die Umwelt durch einen ganzen Katalog von Maßnahmen nicht nur zu schützen, sondern sogar zu „ehren“, setzte das IOC kaum Skepsis entgegen. Seine Prüfer vertrauten auf das russische „Gesetz für Umweltschutz“, das „sorgfältig und mit Effizienz“ umzusetzen sei. „Wir erwarten, dass ein fortgesetzter Dialog zwischen Umweltschutzverbänden, Regierung und Organisationskomitee so schnell wie möglich zu zufriedenstellenden Lösungen führen wird“, hieß es in dem Bericht. Es war eine Erwartung, die in ein Umwelt-Desaster mündete.
Ähnlich sorglos hat sich das IOC zur Kostenentwicklung verhalten. Sotschi versprach 2006: „Durch ein Olympia-Gesetz der Regierung wird Preiskontrolle hergestellt. Es schafft günstige Marktbedingungen und es bietet Schutz für die olympische Bewegung und alle übrigen Beteiligten. Zum Wohle der olympischen Bewegung und der Olympischen Winterspiele steht Russland in höchstem Maße zu seiner finanziellen Verantwortung.“
Das fand das IOC gut und lobte: „Die ausgesprochenen Garantien sind von einer hohen Qualität.“ Aus den zunächst veranschlagten 10,7 Milliarden Dollar, davon 1,52 Milliarden Dollar für die reinen Organisationskosten, sind inzwischen 51 Milliarden Dollar (37,5 Milliarden Euro) geworden, mit einem von russischen Experten geschätzten Korruptionsanteil von 30 bis 40 Prozent.
Das Sotschi-Debakel mit olympischen Rekorden an Umweltzerstörung und Kostenexplosion und einer Eskalation an Sicherheitsmaßnahmen ist für den neuen IOC-Präsidenten Thomas Bach der letzte Anstoß gewesen, das gesamte Bewerbungsverfahren reformieren zu wollen. Das IOC soll sich mit potenziellen Kandidaten früher als bisher intensiv beschäftigen, im Sinne einer gemeinsamen Entwicklung einer Kandidatur, einer kontinuierlichen Überprüfung und der Individualisierung eines Bewerbers. Seine Qualitäten sollen deutlich sichtbar und damit für die Wahl unterscheidbarer werden. Nach der Sotschi-Erfahrung hat das IOC auch keine andere Wahl.