Ich-AG Bokel floriert: Der große Coup der Claudia B.
London (dpa) - Claudia Bokel ist eine Frau, die weiß, was sie will. Nur vier Jahre nach ihrer Aufnahme ins IOC hat die ehemalige Fechterin den Einzug ins mächtige Kabinett der Ringe-Organisation geschafft, damit die Branche verblüfft und den deutschen Einfluss in der IOC-Regierung verdoppelt.
Wer ist dieser Shooting-Star, seit Sonntag eine der mächtigsten Frauen der internationalen Sportpolitik? „Ich bin die Claudia, ich bin 'ne Fechterin und ich hab' ne Silbermedaille“, sagte sie der dpa. Aber hinter der vermeintlichen Bescheidenheit stecken ein Konzept, eine klare Vision und großer Einsatz. Völlig mühelos gewann die 38 Jahre alte Karriere-Frau in London die Wahl zur neuen Vorsitzenden der IOC-Athletenkommission gleich im ersten Wahlgang.
Claudia Bokel wirkt im Kreis der illustren Olympier fast unscheinbar. Ihre weitaus bekannteren Kommissionskollegen, Marokkos Doppel-Olympiasieger Hicham El Guerrouj und der frühere Schwimmstar und vierfache Olympiasieger Alexander Popow aus Russland, gratulierten anerkennend. Dabei wollte Popow selbst Nachfolger des ausscheidenden Vorsitzenden Frankie Fredericks werden, war aber beim Votum mit nur zwei Stimmen chancenlos.
Ein prominenter Name allein reicht gegen die fleißige Bokel nicht. „Ich freue mich, dass sich meine Arbeit über die Jahre ausgezahlt hat“, sagte die 38-Jährige, die in der ersten Runde die entscheidenden sieben Stimmen sammelte, „meine Kollegen wissen, dass ich für sie da bin. Ich möchte die Athleten an der Stelle vertreten, wo es wichtig ist.“
Die Ich-AG Bokel floriert - und das ohne die Unterstützung des einflussreichen IOC-Vizes Thomas Bach. Der deutsche Ober-Olympier war in ihre Pläne nicht einmal eingeweiht und erfuhr erst über Dritte von ihren Ambitionen. Der Alleingang ist typisch für Bokel. „Das ist eine Wahl der Athletenkommission und Sportler wählen“, erklärte sie, „es war kein Geheimnis, dass ich kandidiere.“
Das Verhältnis der beiden ist von gegenseitigem Respekt, aber Distanz geprägt. „Herzlichen Glückwunsch. Willkommen an Bord“, sagte Bach nur. Zumindest bis zu den Winterspielen 2014 in Sotschi arbeiten die beiden im wichtigsten Zirkel des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nun eng zusammen. In Sotschi muss Bokel in ihrem Amt neu bestätigt werden.
Die Degen-Spezialistin überlässt nichts dem Zufall. Nüchtern analysiert die Netzwerkerin die jeweilige Situation und setzt überlegt ihre Wirkungstreffer. Nach ihrer Tätigkeit als Vorsitzende der europäischen Athletenkommission (2005 - 2009) stieg sie 2010 zur Vize-Vorsitzenden der IOC-Athletenkommission auf. Die Beförderung zum neuen Boss aller Athleten „war ein logischer Schritt“, so Bokel.
Die geborene Niederländerin parliert in fünf Sprachen mit ihren Kollegen. Dank ihres abgeschlossenen Chemie-Studiums engagiert sich die Team-Olympia-Zweite von Athen 2004 vor allem im Anti-Doping-Kampf. Auch für das Athleten-Ausbildungsprogramm des IOC reist sie um die Welt und hält Vorträge - sogar in Mali.
Noch ist sie als interne Unternehmensberaterin bei Bayer angestellt, aber ihr Leben wird sich komplett ändern. „Ich muss schauen, wie es jetzt weitergeht“, sagte Bokel, „das ist eine große Verantwortung. Ich bin jetzt der Athletenvertreter und dessen muss man sich erst einmal bewusst sein.“
Nach Willi Daume (1972-76), Berthold Beitz (1984-88) und Bach ist sie das vierte deutsche Mitglied in der IOC-Exekutive. „Ich bin überwältigt, ich bin erleichtert. Jetzt ist es passiert. Ich muss es selber erst einmal verarbeiten“, sagte Bokel unmittelbar nach ihrem Coup und hetzte aus dem IOC-Hotel. IOC-Präsident Jacques Rogge wartete auf einen Bericht.