London 2012: Spiele zwischen Nostalgie und Vision
London (dpa) - London vibriert. Die britischen Olympia-Macher versprechen authentische Spiele, ein Sommerfest der Superlative und Leistungsfeuerwerk der eigenen Mannschaft.
„Es war eine magische Reise bis jetzt“, sagte Organisationschef Sebastian Coe, „ich bin sicher, Olympia wird meine Stadt verändern.“ Mit einer Mischung aus Nostalgie und Vision will London den Spielen den Weg in die Zukunft weisen. Die selbst ernannten Pioniere des modernen Hochleistungssports lassen sich jetzt schon für ihr einzigartiges Nachhaltigkeitskonzept feiern.
Zum dritten Mal nach 1908 und 1948 wird Olympia in der englischen Hauptstadt zelebriert. „London hat einen besonderen Platz in der olympischen Geschichte“, erklärte IOC-Präsident Jacques Rogge vor den sechsten und letzten Spielen seiner Amtszeit. „England hat den modernen Sport erfunden.“
Massenspektakel, ein britischer Goldrausch und Rekorde werden erwartet - Sicherheitspannen, ein Verkehrsinfarkt und mieses Wetter befürchtet. Die Zusatzbelastungen für die Steuerzahler produzierten schon vor der Eröffnungsfeier am Freitag gewaltigen Ärger.
„Wir werden großartige Spiele erleben“, prophezeite Rogge den 10 500 Athleten und 27 000 Medienvertretern. ARD und ZDF berichten im Wechsel 260 Stunden aus London, mehr als doppelt so umfangreich ist ihr Angebot im Internet.
Wimbledons heiliger Rasen, der Fußball-Tempel Wembley, der Hyde Park, Earls Court, das UNO-Weltkulturerbe Greenwich Park oder die Horse Guard Parade dienen als Traumkulisse für die 302 Entscheidungen in 26 Sportarten.
Auch für den deutschen Sport ist Olympia 2012 eine wichtige Bewährungsprobe. In der Nationenwertung soll mindestens der fünfte Platz von Peking (hinter China, den USA, Russland und Großbritannien) wiederholt werden - und das mit dem kleinsten Team seit der Wiedervereinigung. Nur 392 Athleten hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) für den Jahreshöhepunkt vom 27. Juli bis 12. August nominiert. „Es wird der härteste Wettstreit der Olympia-Geschichte, aber wir sind zuversichtlich, dass wir unseren Platz in der Weltspitze verteidigen können“, so DOSB-Präsident Thomas Bach.
Medaillenvorhersagen lehnten die deutschen Leistungsplaner wie immer ab. Eine Experten-Analyse des Leipziger Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), das die DOSB-Spitzenverbände wissenschaftlich unterstützt, prognostizierte 54 Medaillen für die deutsche Mannschaft. Michael Vesper, DOSB-Generaldirektor und Chef de Mission in Personalunion, betonte immerhin: „Wir sind kein olympisches Reiseunternehmen.“
Die Bestätigung der 41 Medaillen (16 Gold, 10 Silber, 15 Bronze) von Peking wird zum unausgesprochenen Großauftrag für das Rumpfteam, das nach der Last-Minute-Qualifikation der Volleyball-Herren in den Ballsportarten nur noch mit beiden Hockey-Teams vertreten ist.
Neben dem Ruder-Achter und den Hockey-Herren haben vor allem die Kanuten, Reiter, Leichtathleten, Schwimmer, Schützen und Segler Aussichten auf Gold. „Wir haben viele positive Typen im Team“, meinte Bach. Turn-Star Fabian Hambüchen, Tischtennis-Ass Timo Boll, Diskus-Weltmeister Robert Harting oder das Schwimm-Paar Britta Steffen und Paul Biedermann taugen zu deutschen Olympia-Lieblingen.
Auch das Vereinigte Königreich will der Welt seine Fortschritte zeigen und mit Hilfe von Olympia den erhofften Wirtschaftsboom bestätigen, den Premierminister David Cameron in den kommenden vier Jahren auf 13 Milliarden Pfund (16,6 Milliarden Euro) taxiert. Die Zukunftsfähigkeit Großbritanniens soll sich zudem in sportlichen Heldentaten ausdrücken. In Peking mit 19 Goldmedaillen und 47 Medaillen insgesamt dekoriert, werden vom Team GB bei den globalen Muskelspielen in der Heimat mindestens 48 Medaillen gefordert.
Als Teil der größten Sportoffensive in der britischen Geschichte wurden in den vergangenen vier Jahren 312 Millionen Pfund (400 Millionen Euro) in die Mannschaft gepumpt. Dafür schickt der Gastgeber 542 Athleten an den Start - mehr als jede andere Nation. Die Briten sind als einziges Team in allen 26 Sportarten vertreten.
9,3 Milliarden Pfund (12 Milliarden Euro) hat Großbritannien in die olympische Infrastruktur investiert. Das 115 Meter hohe Stahlgewinde Arcelor Mittal Tower neben dem futuristischen Olympiastadion und das architektonisch gewagte wie gelungene Radstadion „Velodrom“ unterstreichen den britischen Anspruch auf Großartigkeit. Die Handball-Halle „Copper-Box“ („Kupferschachtel“) und die Basketball-Arena als riesiger weißer „Marsh Mellow“ ergänzen das bunte Bild.
Für die sportlichen Sehenswürdigkeiten sollen Superstars wie Tour de France-Champion Bradley Wiggins oder Bahnradfahrer Sir Chris Hoy sorgen. Der viermalige Olympiasieger aus Schottland wurde von der Queen sogar schon zum Ritter geschlagen. Siebenkampf-Beauty Jessica Ennis, Freistilschwimmerin Rebecca Adlington, Radprofi Mark Cavendish, Turmsprung-Teenie Tom Daley, Fußball-Oldie Ryan Giggs, Wimbledon-Finalist Andy Murray oder Segler Ben Ainslie haben ebenfalls das Potenzial, Legenden zu werden. Die „Global Player“ Usain Bolt, Michael Phelps, Roger Federer oder die Basketball-Heroen Kobe Bryant und LeBron James sind ohnehin längst adoptiert.
„London kann Sport, London kennt Sport und London liebt Sport“, tönte Coe. Der Finanz-Moloch an der Themse atmet Sportsgeist. Sieben Jahre nach der Olympia-Zusage in Singapur sollen historische Wettkampfstätten und das traditionelle Fair Play eine Rückbesinnung auf alte Werte symbolisieren. Der Vermächtnis-Gedanke wird im Olymic Parc ausgelebt, der auf einer ehemals kontaminierten Brachfläche im lange verarmten und verdreckten Osten von London entstand. Olympia als Katalysator für die Entwicklung eines ganzen Stadtteils.
Die Dauerkritik der Öffentlichkeit versuchte Londons charismatischer Bürgermeister Boris Johnson einfach wegzulächeln. „Hört auf zu jammern. Freut euch lieber auf das eindrucksvollste Spektakel der Olympia-Geschichte“, stauchte Johnson die Skeptiker zusammen.
Die rechnen nicht ganz zu Unrecht mit einem Verkehrschaos. Die Straßen der Acht-Millionen-Metropole sind schon an normalen Tagen regelmäßig verstopft. Die älteste U-Bahn der Welt, die im nächsten Jahr 160 wird, sieht an vielen Stellen auch so alt aus. Die Londoner stöhnen.
Viele Briten schimpfen über die horrenden Sicherheitskosten. 600 Millionen Pfund waren ursprünglich für die Sicherung Londons veranschlagt - 1,2 Milliarden sind es geworden. Knapp 25 000 Sicherheitsleute sollen die Spiele schützen, darunter 18 200 Soldaten und damit deutlich mehr, als die britischen Streitkräfte in Afghanistan im Einsatz haben. Auf der Themse liegt das größte Kriegsschiff der britischen Marine, in der Umgebung des Olympia-Parks sind Boden-Luft-Raketen stationiert, Eurofighter-Jets stehen einsatzbereit in unmittelbarer Stadtnähe.
„Das sind meine 20. Spiele. Ich habe jede Menge Erfahrung“, sagte der 70 Jahre alte IOC-Boss Rogge, der wie immer möglichst oft im olympischen Dorf schlafen will. „London hatte eine sehr gute Vorbereitung und wird das auch beweisen.“
204 teilnehmende Nationale Olympische Komitees deuten auf Dramaturgie, Universalität und aufregende Spiele hin. Demgegenüber steht das unerfreuliche Thema Doping, das trotz der Rekordzahl von mehr als 5000 Tests in London nach einigen Manipulationsfällen im Vorfeld omnipräsent ist. „Wenn erst einmal das olympische Feuer brennt, übernimmt der Sport und die Faszination Olympia gewinnt“, sagte Bach. Nach den enteigneten Propagandaspielen der chinesischen Staatsdiktatur 2008 in Peking wird das Premiumprodukt des Internationalen Olympischen Komitees in London auf jeden Fall wieder an Profil gewinnen.