Interview Thomas Bach und die Krisen des Weltsports

Der deutsche IOC-Präsident spricht über die Sommerspiele in Rio de Janeiro, die Flüchtlingskrise und das große Dopingproblem.

Thomas Bach ist seit zwei Jahren Präsident des IOC.

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Lausanne. Thomas Bach ist umzingelt von Krisenherden: Hier Doping und Korruption, dort Terror und Flüchtlingsproblematik. Doch der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) aus Tauberbischofsheim bleibt in seinem Büro im Château de Vidy von Lausanne gelassen — und lässt sich auch vom Lärm der Motorsägen vor den Fenstern nicht stören. „Es bereitet mir Freude, wenn ich morgens ins Büro komme“, sagt der 62-Jährige.

Herr Bach, wie ist der Stand der Dinge in Sachen Olympia in Rio?
Bach: Jeder weiß, dass in Brasilien die politischen und wirtschaftlichen Umstände sehr, sehr schwierig sind. Das Land befindet sich in einer tiefen Krise. Wir freuen uns aber, dass die Verantwortlichen und die Bevölkerung Brasiliens die Olympischen Spiele als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems sehen. Jetzt wird für die Bewohner Rios greifbar, welches großes Erbe diese Olympischen Spiele hinterlassen werden. Als Beispiel möchte ich nur den Ausbau der Infrastruktur nennen: Das sind die ersten großen Investitionen seit fast 50 Jahren, die in Rio getätigt werden.

Große Impulse hatte man sich von der Fußball-WM 2014 in Brasilien auch erhofft, die Bilanz fiel aber ernüchternd aus.
Bach: Eine Fußball-WM und Olympische Spiele unterscheiden sich auch in dieser Frage erheblich, so wie sich IOC und Fifa in vielen Fragen sehr unterscheiden. Bei einer Fußball-WM hat man Investitionen vor allem in Stadien und vielleicht noch in Flughäfen. Bei den Spielen wird beispielsweise mit dem Bau des Olympischen Dorfes Wohnraum für etwa 5000, 6000 Menschen geschaffen. Dass sich ein komplett neues Nahverkehrsnetz über die Stadt legt — das haben sie nur mit den Spielen: Als Rio die Spiele 2009 bekommen hat, hatten 16 Prozent der Einwohner Rios Zugang zum öffentlichen Personennahverkehr. Mit den Spielen steigt diese Zahl auf 63 Prozent.

Terror und Flüchtlingskrise sind zwei Themen, die eng zusammen gehören. Kann der Sport da überhaupt noch durchdringen?
Bach: Das IOC hat sich sehr früh des Flüchtlingsthemas angenommen, schon vor Ausbruch dieser Krise. Zunächst auf einer generellen Ebene in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, indem wir Sportprogramme in Flüchtlingslagern finanzieren und Mediatoren zur Verfügung stellen. Zur aktuellen Flüchtlingskrise haben wir einen speziellen Fonds von zwei Millionen US-Dollar geschaffen, den wir Nationalen Olympischen Komitees zur Verfügung stellen. Aus knapp zehn Ländern wurden Gelder abgerufen, Deutschland hat hiervon 150 000 Dollar erhalten. Und im Oktober habe ich in einer Rede vor den Vereinten Nationen ein Programm angekündigt, dass wir den Athleten unter den Flüchtlingen, die eine olympische Perspektive besitzen, Möglichkeiten schaffen wollen, an den Spielen teilzunehmen. Sie könnten hinter der olympischen Fahne einmarschieren. Im Moment haben wir einen Pool von etwa 30 Athleten, die in Frage kämen.

Was denken Sie über die Entwicklungen und Doping-Enthüllungen im Internationalen Leichtathletik-Verband IAAF?
Bach: Ich glaube, dass die neue Führung der IAAF mit der Suspendierung des russischen Verbandes, mit der Kontaktaufnahme zur Welt-Anti-Doping-Agentur und mit der Ernennung ihrer Kommission Flagge gezeigt hat. Es ist aber ebenso richtig, dass aufgrund der Dimension des Problems innerhalb des Verbandes ein steiniger Weg vor der IAAF liegt. Es ist ja wirklich unfassbar, dass der Präsident eines internationalen Verbandes von Athleten Geld forderte, um Ergebnisse von Dopingkontrollen zu manipulieren. Das war ein Blick in den Abgrund. Wenngleich man aber auch sagen muss, dass nicht das gesamte Anti-Doping-System der IAAF betroffen war.

Aber es steckte ein krimineller Apparat rund um den ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack dahinter. Da reicht es doch nicht, eine Kommission zu gründen. Müsste man nicht die Leichtathletik von Olympia ausschließen?
Bach: Der Anti-Doping-Abteilung der IAAF wurde von der Wada-Kommission eine gute Arbeit bescheinigt, es hat aber diese Zelle Diack innerhalb der IAAF gegeben, die diese Manipulationen korruptiv vorgenommen hat. Deshalb kann man nicht zum Beispiel deutsche oder US-Athleten für das korrumpierende Vorgehen dieser Zelle mit einem Ausschluss der gesamten Leichtathletik bestrafen.

Heißt das, dass eine russische Leichtathletik-Mannschaft bei den Spielen starten wird?
Bach: Das ist eine andere Frage. Es gilt auch hier: null Toleranz. Jeder, der da involviert war — sei es Athlet, Trainer, Arzt, Funktionär — muss bestraft werden. Und gleichzeitig müssen die sauberen Athleten geschützt werden. Wir haben das Nationale Olympische Komitee Russlands gebeten, hier die koordinierende Funktion zu übernehmen, insbesondere um den Leichtathletik-Verband neu zu ordnen. Dazu überwacht vornehmlich die IAAF diese Neuorientierung. Sie wird beobachten, welche Fortschritte gemacht werden und ob und wann die derzeitige Suspendierung eventuell aufgehoben werden kann.

Sie haben gefordert, dass man intelligentere Maßnahmen findet, um Dopingsündern auf die Spur zu kommen. Sind Sie einen Schritt weiter?
Bach: Ich glaube, wir sind verschiedene Schritte weiter, weil wir wir einen extra Fonds von 20 Millionen Dollar zum Schutz sauberer Athleten eingerichtet haben. 10 Millionen Dollar davon gehen mit in die Forschung in fünf oder sechs Projekte, die zum Teil den von uns gewünschten neuen Blick auf das Kontrollsystem werfen. Mein Wunsch war und ist, dass man das mal ganz grundsätzlich angeht, sich bewusst an die wissenschaftlich Welt außerhalb der Doping-Community wendet und grundlegende Fragen stellt: Ist es wirklich so, dass nur Blut- und Urinproben weiterhelfen? Kann man sowas mit Zellen, Speichel, Haaren oder was auch immer machen? Diese Programme sind unterwegs. Zusätzlich haben wir initiiert, dass die internationalen Verbände die Dopingkontrollen von sich selbst unabhängig machen sollen und sie stattdessen einer unabhängigen Einheit bei der Wada übertragen. Dies kann das IOC den Verbänden nicht befehlen, aber bei uns selbst wollen wir ein solch unabhängiges System bis Pyeongchang 2018 umsetzen.

Doping, Korruption, wirtschaftliche Krisen, Terror, Krieg, Umweltprobleme - so schwierig waren die Rahmenbedingungen noch nie.
Bach: Die olympische Bewegung und die olympischen Werte sind gerade in solchen Zeiten wichtiger denn je. Die Olympischen Spiele sind das einzige Weltereignis, bei dem Sie tatsächlich die gesamte Welt ohne jede Diskriminierung unter ein Dach zusammen bekommen. Der olympische Sport ist der einzige Bereich des menschlichen Lebens, in dem das gleiche Recht für alle auf der gesamten Welt gilt. Das gibt es nicht in der Wirtschaft. Das gibt es nicht in der Kultur. Das gibt es nicht in der Wissenschaft. Von der Politik will ich gar nicht reden.

Sind sie nach zwei Jahren im Amt mit allem zufrieden, was Sie erreicht oder angeschoben haben?
Bach: Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Ich hätte jedenfalls nicht geglaubt, dass man ein derart umfangreiches Reformprojekt wie die Olympische Agenda 2020 nach zwei Jahren im Amt weitestgehend umgesetzt haben kann. Meine Erwartung war eher, dass ich die ersten zwei bis vier Jahre brauche, um das IOC nach einem Wahlkampf, bei dem von etwa 100 IOC-Mitgliedern sechs Kandidat waren, wieder zusammenzufügen.