Unter Druck: Londons Verkehrssystem hält Olympia Stand
London (dpa) - Es ist 18 Uhr, und die „Rush Hour“ in London ist in vollem Gange. Doch in einer der eigentlich geschäftigsten Stationen, London Bridge, sind die Gänge gespenstisch leer. Was ist los?
Es ist Olympia.
Und bislang haben sich die meisten Ängste der Verantwortlichen, Olympia-Zuschauer und Londoner Pendler nicht bestätigt. Denn trotz Millionen zusätzlicher Besucher ist das ganz große Verkehrschaos bisher ausgeblieben. Streckenweise gibt es zwar einzelne Probleme - Staus auf den Straßen, Verspätungen, gesperrte U-Bahn-Abschnitte. Von Zusammenbruch allerdings kann keine Rede sein, obwohl an den ersten drei Wettkampftagen mehr als zwei Millionen Menschen in den Stadien zugesehen haben.
„Wir können uns nicht beschweren“, sagte Mick Savage von „Trafficmaster“, einer Verkehrsbeobachtungsfirma, der „Times“. „Es scheint, als hätten sie ihre Arbeit ganz gut gemacht.“ Transportbehörde, Organisatoren und Verkehrsministerium hatten gebetsmühlenartig über Monate wiederholt: Londoner Pendler, steigt auf eure Fahrräder um, sucht euch weniger volle Strecken, bleibt daheim und arbeitet von dort aus. Allein 22 Millionen E-Mails haben die Verkehrsbetriebe im Vorfeld an Pendler verschickt. Offenbar wurden sie erhört.
Montag war der erste Tag, an dem Berufs- und Olympiaverkehr aufeinandertrafen. Auf den Straßen war 20 Prozent weniger los als sonst, hieß es am Dienstag von den Behörden. Zwischendurch konnten sogar einige der eigens für Athleten und Funktionäre freigehaltenen Straßenspuren freigegeben werden. Grund war laut Londons Bürgermeister Boris Johnson, dass viele Autofahrer auf die Bahn umstiegen. Sogar IOC-Präsident Jacques Rogge sei statt mit dem Auto mit dem Zug gefahren. „Wir sind sehr zufrieden damit, wie der Verkehr bislang läuft“, beteuerte Johnson.
Die Zahl der Passagiere in der U-Bahn und den oberirdischen Zügen innerhalb Londons stieg um vier Prozent, eigentlich vergleichsweise wenig, betrachtet man die Masse der zusätzlichen Besucher. Es sieht so aus, als blieben manche Einheimische und Berufspendler einfach weg.
Insgesamt werden über die zwei Wochen der Spiele rund 1,5 Millionen Menschen von zu Hause aus arbeiten, und nicht den üblichen Weg in die Innenstadt antreten, schätzt die Londoner Handelskammer Chamber of Commerce. Einige der größten Unternehmen des Landes, darunter die Supermarktkette Sainsbury's und der Telekommunikationskonzern BT, bieten ihren Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten während Olympia an, schrieb der „Daily Telegraph“ am Dienstag. Hinzu kommt, dass auf der Insel Sommerferien sind. Laut „Telegraph“ wollten zwei Millionen Urlauber London entfliehen.
Für die gebeutelten Einzelhändler in der Innenstadt, die große Hoffnungen auf die Spiele setzen, sind das allerdings keine guten Nachrichten. So berichteten Besucher von leeren Straßen und Läden im Zentrum. Nach Angaben der Nachrichtenagentur PA waren am vergangenen Freitag und Samstag rund zehn Prozent weniger Besucher im Londoner West End unterwegs als am Wochenende davor.
Doch Olympia ist nicht einmal zur Hälfte um, es kann noch viel passieren. Der erste Erfolg des Verkehrssystem hat außerdem einiges gekostet. Seit der erfolgreichen Olympia-Bewerbung Londons wurden 6,5 Milliarden Pfund an Steuergeldern in das Schienen- und Straßennetz gepumpt. Das Personal der U-Bahnen, Busse und Züge wird mit Bonuszahlungen bei Laune gehalten. Doch vielleicht kann der Londoner Verkehr von Olympia auch für die Zukunft zehren, meint Christian Wolmar, Autor von Büchern über Züge und Schienennetzwerke, am Dienstag in einem Kommentar für die „Times“: „Die Lektionen, die wir über Reise-Flexibilität lernen, könnten zum wichtigen Erbe der Spiele werden.“