Kolumne: Sport, Gesundheit & anderer Firlefanz Beim Laufen sind alle gleich

Die Gesellschaft spaltet sich zunehmend, vorangetrieben durch populistische Parteien und despotische Herrscher. Wer sich eine heile Welt wünscht, sollte aufhören, davon zu träumen und mit dem Laufen anfangen. Dort gibt es sie nämlich noch, die verbindende Gleichmacherei.

Am Wahlsonntag sind rund 40.000 Menschen aus mehr als 120 Nationen beim Berlin-Marathon am Start. Was sie vereint: das Laufen.

Foto: Dagmar Wienke

Düsseldorf. Es geht ein Riss durch die Welt. Rechts und links, Merkel und Schulz, AfD und die Anderen, Trump und Nicht-Trump-Wähler, Beitritssverhandlungen mit der Türkei — Ja oder Nein, Le Pen und Macron, Xavier Naidoo — das darf man singen/nicht singen. Immer mehr Menschen zeigen, auf welcher Seite des Risses sie stehen. Familien können daran zerbrechen, Freundschaften sowieso und mit dem Kollegen, der so ganz anderer Ansicht ist, mag der eine oder andere nicht mehr die Pause verbringen. Nicht so beim Laufen. Dort sind alle gleich, der Schweiß klebt alle vereinigend zusammen, stark wie Industriekleber.

Früher, bei der Arbeiterbewegung, war das auch so. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen hatte die Menschen zusammengebracht. Eva-Maria Tepest schreibt dazu im Missy-Magazin in ihrem Text „Kein Triumph, kein Sieg”: „So waren „französische Arbeiter*innen und andere gesellschaftliche Gruppen zwar (auch) schon immer rassistisch, sexistisch, homofeindlich. Sie wählten aber trotzdem links und behielten ihren Hass größtenteils für sich.” In ihrem Text erklärt Tepest, warum der scheinbare Widerspruch, dass die lesbische AfD-Vorzeigefrau, Alice Weidel, sich der rassistische, rechtsextremen Partei zugewandt hat, keiner ist.

So ungefähr ist es bei Läufern auch. Die Freude am Laufen, der Kampf gegen die Uhr und den inneren Schweinehund vereint uns. Hass, Rassismus, Sexismus bleiben draußen. Das war schon immer so und wird es auch hoffentlich bleiben. Doch der Ton ist rauer geworden. Sportliche Themen spalten mittlerweile auch für kurze Zeit die Läufergemeinschaft, wie das Nike Projekt „Breaking2”, das am 6. Mai stattfand. Nike hat 30 Millionen Euro investiert, einen Schuh entwickelt und drei schnelle Afrikaner, Eliot Kipchoge (Kenia), Zersenay Tadese (Eritrea) und Lelisa Desisa (Äthiopien) für stattliche Summen — wie gemunkelt wird —, engagiert, damit diese als erste Menschen unter zwei Stunden den Marathon laufen. Die PR-Kampagne hat für Unruhe auf den sozialen Netzwerken gesorgt. Es wurde so heftig debattiert wie über Satire von Jan Böhmermann. Aber immerhin, gepöbelt wurde kaum. Zwei Tage später hatten sich alle wieder lieb.

Nikes Ziel, eine Zeit unter zwei Stunden, verpasste Kipchoge. (http://bit.ly/2wBta1I) Der Kenianer lief bei diesem Laborversuch in Monza/Italien 2:00:25 Stunden. Zwar war das so schnell, wie noch nie ein Läufer über die 42,195 Kilometer gelaufen ist, doch als Weltrekord wird die Zeit nicht gewertet, da sie unter irregulären Bedingungen erzielt wurde. Für Tadese (2:06:51 Stunden) und Desisa (2:14:00 Stunden) dagegen war das PR-Projekt zu ambitioniert.

Am Wahlsonntag (24.9.) steht Kipchoge mit Landsmann Wilson Kipsang und Kenenisa Bekele aus Äthiopien in Berlin wieder an der Startlinie. Natürlich haben die drei den Weltrekord im Visier, so wie das vor jedem Berlin-Marathon angekündigt wird. „Ob es ihnen gelingt, den 2014 in Berlin aufgestellten Weltrekord von 2:02:57 Stunden [von Dennis Kimetto] zu unterbieten, hängt in der Hauptsache vom Wetter am kommenden Sonntag ab”, schreibt der Veranstalter in einer Pressemitteilung. In der Tat wird auch diesmal alles dafür getan, dass der Rekord fällt. Pacemaker bis Kilometer 30 oder 35 werden den Läufern an die Seite gestellt, die nicht nur Tempo machen, sondern auch vor Gegenwind schützen. Rekorde bringen Geld, also sind Pacemaker im Marathon reguläre Hilfsmittel. Die 40.000 Läufer aus mehr als 120 Nationen, die hinter den Elite-Läufern herlaufen, interessant die Hatz nach dem Rekord eher nicht. Ihnen geht es bei dieser Völker verbindenden Veranstaltung um den Spaß, eigene Bestzeiten oder das viel gepriesene „Dabei-sein-ist-alles”.

Am Wahlsonntag steht Sabrina Mockenhaupt, Deutschlands beste Langstreckenläuferin, nicht in Berlin am Start, sie geht aber wählen. „Mocki”, die vor ein paar Wochen ihren 45. Deutschen Meistertitel errang mit dem Titelgewinn über 10 Kilometer, verkündete auf Facebook und Instragram, wem sie am 24.9. ihre Stimme geben wird. Es wurde viel über ihr öffentliches Bekenntnis diskutiert, die Aufregung über ihr Faible für Angela Merkel (CDU) in ihren Kommentarspalten war aber lediglich eine Shitböe. Einzelne Follower entfolgten den Laufpuma, wie Sabrina Mockenhaupt auch genannt wird. Wirklich spalten konnte die gebürtige Siegerländerin die Laufgemeinde aber nicht. Die quirlige Marathonläuferin, die ihr Herz auf der Zunge trägt, ist eben eine von uns.

Zum Ausgleich gibt Jan Fitschen, Ex-Europameister über 10.000 Meter, seine Stimme Martin Schulz (SPD). Auch hier wird wieder fleißig kommentiert, aber anständig. Kommentator Jan Brinkmann ist dementsprechend entzückt: „Ganz unabhängig von der politischen Meinung: so genial wie hier kommuniziert wird - trotz anderer Meinungen. ”

So ist alles wieder im Lot in der Läuferwelt. Außer für Klaus Fischer, der in Bredouille geraten ist: „Mocki ist hübscher und wählt CDU ... Was soll ich jetzt machen? ;-)”

Die gesellschaftliche Position spielt bei Läufern ebenso keine Rolle. Anzug, Blaumann und grauer oder weißer Kittel werden gegen Multifunktionsshirt getauscht, alle sehen gleich aus. Und seit einigen Jahren sogar in Bonbonfarben, die die Sportartikelhersteller wieder aus der 80er-Kiste hervorgekramt haben. Aus dem blau- und schwarzen Einheitslook ist nun eine quietschbunte Läuferschar geworden.

Es gibt auch nur wenige, die ihren Doktortitel bei der Anmeldung zu Volksläufen angeben. Der blanke Name genügt den meisten Akademikern. Was in den Ergebnislisten zählt ist die Zeit und nicht der Titel.

Gesiezt wird sich nicht. Das enttarnt den Laufanfänger oder Journalisten, der in eine schizophrene Lage kommt, wenn er im Laufdress Interview- oder Fotoanfragen stellt. Das läuft dann so ab: Neujahrslauf 2015 in Berlin, Kilometer 3,5, kurz vor dem Brandenburger Tor, das Tempo beträgt sechs Minuten pro Kilometer: „Guten Tag, Herr Schlöndorff, dürfte ich nachher ein Foto von Ihnen machen für das Laufmagazin XY”? „Sag Volker zu mir.” (Zur Erklärung: Volker Schlöndorff ist nicht nur Filmemacher (Die Blechtrommel) sondern auch (Hobby-)Läufer und hat sich beim 44. Neujahrslauf für die Olympiabewerbung von Berlin engagiert.)

So eine verschworene Gemeinschaft haben wir auch, mögen Schützenvereine, Kaninchenzüchter Karnevalisten und Dartclubs den Läufern entgegenwerfen. „Ja, aber”, sagt der Läufer, „Sport verbindet und außerdem verlängert Ausdauersport das Leben.”

Alle wissen das, außer Donald Trump. Der US-Präsident vertritt die krude Ansicht, die im viktorianischen Zeitalter populär war: Jeder Mensch hat eine gewisse Lebensenergie und die Lebenszeit verkürzt sich, wenn man Sport treibt, weil viel mehr Energie verbraucht wird. Trump hat nach dem College sofort mit Sport aufgehört. Außer mit Golf, da wird nicht gerannt, sondern im Caddy rumgefahren. Zum Glück ist aus Trump kein Läufer geworden, sonst würde der US-Präsident womöglich auch noch in der Startreihe beim Berlin-Marathon stehen und sagen: „Sag’ Donald zu mir", später die Strecke abkürzen und als erster Mensch die 42,2 Kilometer unter zwei Stunden laufen.