Brähmer: Vom bösen Buben zum netten Kerl
Hamburg (dpa) - Jürgen Brähmer ist ein anderer Mensch geworden. Früher brauste der Boxweltmeister schnell auf, ließ sich provozieren, teilte aus - und musste dafür schwer einstecken. Beispielsweise 1998, als er wegen Raubes und Körperverletzung in Jugendhaft kam.
Oder 2002, als er erneut hinter Gittern verschwand. Diese Zeit ist passé. „In Nachhinein ist man immer schlauer“, sagt der 35-Jährige und federt mit dem Rücken gegen die Boxseile des Trainingsrings. „Ja“, seufzt er, „es gibt Momente im Leben, die hätte ich mir sparen können.“ Am Samstag verteidigt Brähmer in Rostock seinen WM-Titel im Halbschwergewicht gegen den Waliser Enzo Maccarinelli. Der Gürtel, so beteuert er, sei ihm natürlich wichtig. Aber eben nicht nur der.
Mit zunehmendem Alter entdeckt Brähmer andere Werte. Protzautos, so teuer wie Eigentumswohnungen, spielen keine Rolle mehr. Die Edelkarossen hat er eingetauscht gegen eine alten 318er BMW. Mit dem transportiert der Halbschwergewichtler Zementsäcke und Holz. Derzeit baut er sich eine alte Töpferei am Schweriner See aus, damit er dort mit seiner Lebensgefährtin Tatjana und der zweijährigen Tochter Jasmin in Ruhe leben kann. „Ich mag den Trubel nicht“, gesteht er. „Ich bin kein Freund von öffentlichem Käse. Ich mache Sport, weil es Spaß macht und nicht, weil ich ins Fernsehen komme. Ich bin froh, wenn mal keiner kommt, um mir auf die Schulter zu klopfen.“
Peter Hanraths, der schon als einstiger Geschäftsführer des Hamburger Universum-Boxstalls sein Fürsprecher war, ist heute Brähmers Berater. „Wenn Hanraths damals bei Universum geblieben wäre, wäre meine Entwicklung anders verlaufen“, erzählt Brähmer. Mit Promoter Klaus-Peter Kohl ging er zunehmend in den Clinch. „Die letzten drei Jahre waren eine Katastrophe“, gesteht der gelernte Schweißer.
Weil finanzielle Vereinbarungen nicht eingehalten wurden, sagte Brähmer WM-Kämpfe ab. Für die Öffentlichkeit wurden als Grund Verletzungen genannt. „Ich bin ein Prinzipienreiter“, entschuldigt sich „das Jahrhunderttalent“, wie Kohl ihn nannte. Teilweise wurde noch um die Börse gefeilscht, als er bereits die Handschuhe anzog, um in den WM-Ring zu steigen. „Damals dachte ich ans Aufhören.“
Hanraths brachte den damaligen Ex-Weltmeister im Sommer 2012 mit Manager Wilfried Sauerland zusammen. „Das war angenehm. Der erzählte keine Märchen“, berichtet der gebürtige Stralsunder. „Meine Frau hat drei Kreuze gemacht, als sie erfuhr, dass ich wieder boxe.“ Nicht wegen des Geldes. Brähmer: „Ich war wohl nervig zu Hause.“
Bei den „Sauerländern“ hat sich Brähmer erst den EM-, dann den WM-Titel zurückgeholt. „Der Junge ist toll. Mit dem kannst du gut plaudern. Der hat gesunde Ansichten, ein richtig netter Kerl“, sagt Sauerland-Sohn Kalle, Promoter des Berliner Unternehmens. „Vielleicht war er früher ein böser Bube, jetzt nicht mehr.“ Hanraths schwärmt: „Jürgen ist ein richtiger Mann geworden. Seine falschen Kumpels ist er los, jetzt sind Polizisten und Beamte in seinem Freundeskreis. Jürgen steht mit beiden Beinen im Leben.“
Brähmer blüht in seinem neuen Boxstall auf. Mit den Trainingskollegen kommt er bestens klar; Lob verteilt er an Trainer Karsten Röwer: „Wir sind ein gutes Team.“ Nur als Beifahrer sei der 51 Jahre alte Diplomsportlehrer nicht zu gebrauchen. „Der ist nachtblind, kreischt und reißt fast den Haltegriff ab“, moniert Brähmer. Den Makel nimmt er aber gern in Kauf. Denn Coach Ulli Wegner als mögliche Alternative schreckt ihn. „Oje, mit dem könnte ich nicht“, bekennt der Champion.
Gegen Maccarinelli, 33 Jahre alter Ex-Weltmeister im Cruisergewicht, setzt Brähmer am Samstag auf Ausdauer. „Ich werde ihn zermürben“, sagt der Schweriner vor seinem 44. Profikampf. Den WBA-Titel will er noch einige Jahre behalten. Schließlich sei er in seiner Gewichtsklasse „noch ein Küken“. Maßstab ist sein Weltmeisterkollege bei der IBF. Brähmer: „Bernard Hopkins ist fast 50.“