Chisora gegen Pulew: Box-EM um WM-Chance - Eklat beim Wiegen
Hamburg (dpa) - Wenn Marktgeschrei Gradmesser für Qualität ist, wird die Box-Europameisterschaft zwischen Kubrat Pulew und Dereck Chisora ein Riesenkampf. Beide hauen vor dem Schwergewichts-Duell in Hamburg gewaltig auf den Tisch.
„Der kann nichts. Er hat nur Flaschen geboxt“, geifert Chisora und hat für seinen Rivalen nur Verachtung übrig: „Langweiler, osteuropäischer Roboter.“ Der Bulgare Pulew, eigentlich ein sachlicher Typ, faucht zurück: „Ich fresse dich am Samstag auf!“
Die Brisanz des Duells artete beim Wiegen am Freitag in einem Hamburger Nobelhotel in Tumulte aus. Anlass war eine Attacke eines aus dem Pulew-Lager stammenden Fans, der Chisora während des Foto-Termins mit einer Wasserflasche schlug.
Chisora, der sich eine England-Fahne um den Mund gewickelt hatte und so wirkte, als ob er sich selbst einen Maulkorb verpasst hatte, war danach nicht mehr zu beruhigen. Der Brite verfolge den vermeintlichen Angreifer durch den Ballsaal des Nobelhotels und legte sich dabei auch mit Sicherheitsleuten an. Anschließend soll der Profiboxer auch in einer Hotel-Küche randaliert haben. Pulew wie Chisora waren bereits Europameister, beide haben um WM-Gürtel gekämpft. Wer gewinnt, erhält erneut eine WM-Chance. „Das ist die wohl seit Jahren beste Schwergewichts-EM“, sagt Promoter Kalle Sauerland, bei dem beide Boxer unter Vertrag stehen. 30 Profikämpfe hat der Brite Chisora bestritten, 25 gewonnen. Auf 23 Ringauftritte und 22 Siege bringt es Pulew. Der 35-Jährige, in seiner Heimat ein Volksheld, weiß um den Klamauk vor einem Kampf. „Ich bin ein vernünftiger Typ, aber wir Boxer sind auch wenig verrückt“, gesteht er.
Von der Ansetzung begeistert ist Luan Krasniqi aus Rottweil, einst selbst Europameister im Schwergewicht. „Das ist seit langem mal ein guter Kampf um die EM. Für mich ist Pulew Favorit. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn er verliert“, sagt der 44-Jährige. Bei seiner K.o.-Niederlage gegen Wladimir Klitschko sei Pulew zu offen gewesen, kritisiert Krasniqi. „Es ist damals unglücklich für ihn gelaufen.“
Chisora pflegt sein Image als Bad Boy. Ohrfeigen gegen Rivalen wie Vitali Klitschko oder Robert Helenius vor dem Kampf, die Spuckattacke gegen Wladimir Klitschko oder eine Prügelei mit Landsmann und Ex-Weltmeister David Haye bei einer Pressekonferenz sind Bestandteil seiner Psycho-Strategie. In seiner Heimat ist der 32 Jahre alte Diplomatensohn, der in Hamburg mal eben einen Maßanzug für 5000 Euro schneidern ließ, nicht beliebt. Ob es an der großen Klappe liegt, die manchmal zur Kodderschnauze gerät, lässt sich nur vermuten.
Bei ihrer Gegner-Analyse sind Chisora und sein Trainer CJ Hussein zu einer erstaunlichen Erkenntnis gelangt. Pulew beherrsche „genau drei Schläge - Jab, linker Haken und rechte Gerade“. Nur der Jab sei gut. „Selbst wenn Dereck einen Großteil seines Schlagarsenals vor dem Kampf vergisst, würde er immer noch mehr draufhaben als Pulew“, behauptet Hussein.
Sein Mann sei ein Temperamentsbolzen, Pulew hingegen hänge „einem langweiligen und eindimensionalen Amateurstil“ nach. „Blödsinn“, widerspricht Krasniqi. „Pulew ist boxerisch weit überlegen. Er hat Linie. Chisora kann Druck ausüben, aber er ist ein Wühler.“
Trainer Otto Ramin, der Pulew bis zu dessen Niederlage gegen Klitschko im November 2014 betreute, sieht das größere Vermögen ebenfalls bei seinem Ex-Schützling. „Normalerweise dürfte Kubrat mit Chisora keine Probleme haben“, sagt Ramin. „Er wird ihn sich mit seiner Führhand zurechtstellen. Ich glaube, es ist vorher Schluss.“
Nachfolger von Ramin ist Kult-Trainer Ulli Wegner. Der 74-Jährige erkennt in seiner Neuerwerbung riesiges Potenzial. „Der Junge hat das Zeug zum Weltmeister“, schwärmt er. „Es war immer mein Traum, mal einen Schwergewichts-Champion zu haben.“ Nach der Blamage mit Arthur Abraham in den USA braucht der Trainer Streicheleinheiten. Pulew sei sein „Rezept für gute Laune“, verrät er. Wegner: „Immer, wenn ich ihn trainieren sehe, ist Kubrat wieder ein Stück besser geworden.“