Wladimir Klitschko: „Mein Kopf war in der Ukraine“
Wladimir Klitschko verteidigt seinen WM-Titel gegen Alex Leapai. Die Inszenierung beschwört den Mythos der Unbesiegbarkeit.
Oberhausen. Der Himmel hätte sich längst schlafen gelegt, zuckten die Beats nicht wie Blitze durch die Nacht. Das Partyvolk scheint dem eigentlichen Höhepunkt dieses Abends zuzustreben. Gute-Laune-Geschrei mischt sich zwischen die wummernden Bässe, die das dünne Tuch der aufgebauten Zelt-Landschaft vor der Arena in Oberhausen in Schwingung versetzen und das an der Außenhaut aufgebrachte Konterfei von Wladimir Klitschko ständig in Bewegung halten. Darunter steht in großen Buchstaben: „I can’t stop“. Es ist der Titel seiner Einlaufmusik von den Red Hot Chili Peppers.
Es wird weitergehen — man kann das in diesem unvergleichlichen Siegeszug durch das Box-Schwergewicht auch als Drohung verstehen. Gut zwei Stunden zuvor, es ist nicht einmal Mitternacht, liegt der Australier Alex Leapai wie ein Maikäfer im Ring. Getroffen von Klitschkos Rechter. Im 25. WM-Kampf. Der Champion hatte lange gewartet, bis zur fünften Runde. Dann macht er ernst. Was sollte es anderes werden als sein 53. K.o. im 65. Profikampf?
Leapei reiht sich nahtlos in die Schar der Herausforderer ein, deren Namen schnell nur noch in Archiven schlummern. Fallobst, besseres Sparring — mehr war er nicht, mehr bot er nicht. Es bedurfte nicht mal seiner aufrichtigen Einschätzung, als er später gefragt wurde, wann er denn wusste, das dies nicht sein Abend werde. „Nach dem ersten Niederschlag“, sagte Leapai. Den erledigte Klitschko bereits nach 80 Sekunden.
„Es war nicht leicht, mein Kopf war in der Ukraine. Was derzeit in meiner Heimat passiert, beschäftigt die ganze Welt“, sagte Klitschko, der sich bei seinen deutschen Fans bedankte: „Diese Fans sind einmalig.“ Und sie sind dankbar, fühlen sich herzlich eingeladen, dem Familientreffen der Klitschkos beizuwohnen. Sein Bruder Vitali unterbricht für Stunden den Kampf um Freiheit in der Ukraine, um in Oberhausen in der Ringecke seinem Bruder zu assistieren. Natalia (40), Vitalis Frau, singt im blau-gelben Ukraine-Kleid vor dem Kampf die Hymne des Landes. Klitschkos WM-Kämpfe bilden die Folie, auf der zumindest für einen Abend der Mythos der Unbesiegbarkeit Wirklichkeit wird. Klitschkos Botschaft lautete: „Der Sport kann Nationen einen, die Politik versucht, das Land zu teilen.“ Langfristig werde das aber nicht gelingen.
Der Rausch um Klitschko, Dreifach-Weltmeister der Verbände WBO, WBA und IBF, scheint noch lange nicht beendet. In zwei Wochen werden der Amerikaner Chris Arreola und Bermane Stiverne aus Haiti in Los Angeles um den von Vitali Klitschko freigegebenen WBC-Gürtel kämpfen. Klitschkos Manager Bernd Bönte fände es wünschenswert, wenn alle vier Titel vereinigt würden. „Der Medienhall wäre weltweit. Ein gigantischer Kampf“, frohlockt Bönte. Der September ist dafür ins Auge gefasst. Klitschko sagte, er könne noch zehn Jahre boxen und Champion bleiben. Das Partyvolk kann diese Botschaft im Meer der Bässe nicht hören. Es hat aber den September vorgemerkt — und kommt zum Familientreffen wieder.