Sepp Blatter und die Fifa Der Tänzer, zäh wie eine Bergziege
79 Jahre alt, skandalerprobt und gehörig ignorant: Warum Fifa-Boss Blatter scheinbar unbesiegbar ist.
Zürich. Wenn er Ohren und Augen schließt, kann er es vielleicht schaffen. Am Morgen in den Spiegel zu schauen. Jeden Morgen macht Joseph Blatter das, der 79 Jahre alte Mann aus dem Schweizer Kanton Wallis tanzt nach dem Aufstehen in seiner Züricher Wohnung durch das Badezimmer, zur Musik, die er mag. Das sei seine Morgengymnastik, schreibt „Der Spiegel“ und fügt an, dass dieses Bild, das jetzt ein Kopfkino ist, ja ganz gut passe: Die Fußball-Welt steht Kopf — und Blatter tanzt. Aber jetzt bricht alles über dem kleingewachsenen Mann mit der großen Macht zusammen.
Vielleicht hat Blatter tatsächlich ausgetanzt, die Wucht der Rücktrittsforderungen im Zuge der Enthüllungen im Korruptionssumpf seines Verbandes ist so groß wie nie. Es ist tatsächlich alles gefordert worden in den jüngsten zwei Tagen. Vielleicht nur noch nicht von jedem.
Dabei hatte er sich sicher in seinem System gefühlt. Maximal skandalerprobt ist er, ein dreister Strippenzieher, ein Meister der Nebelkerzen. Was sollte ihm denn bitte passieren? Einer wie er entscheidet selbst, wann er geht. Und wenn doch nicht, dann wird er viele mit hineinreinreißen, die jetzt noch schweigend unterstützen. Und zittern. Auch in dieser Republik. Oder sollte man glauben, dass die zum Ton einer erfolgreichen WM-Bewerbung gehörenden illegalen Absprachen und korrupten Geschäfte ausgerechnet zur WM 2006 in Deutschland nicht stattgefunden haben?
Noch aber ist es nicht so weit. Es gibt niemanden, der so gut abprallen lassen kann wie Blatter. Der innere Machtzirkel wird gerade torpediert, um ihn herum schlagen die Bomben ein, aber auf der Ruine sitzt Blatter. Scheinbar unverletzt. Die Fifa-Zentrale auf dem Zürichberg ist seine Trutzburg. Es wird beschlagnahmt, was das Zeug hält, aber Blatter ficht das nicht an. Er nennt das aktive Aufklärung. „Es ist gut, was heute passiert ist. Es tut weh, aber wir werden den Weg weiter gehen“, ließ sein Pressesprecher Walter de Gregorio ausrichten.
„Sie werden mir zustimmen, dass dies beispiellose und schwierige Zeiten für die Fifa sind“, sagte Blatter gestern Abend zur Eröffnung des Fifa-Kongresses. Offensivstrategie, Verbalakrobatik pur. Was er meint: Und wenn die Welt auch gegen uns ist, so sitzen wir hier alle in einem Boot. Wahrscheinlich trifft diese Beschreibung in noch gar nicht ermitteltem Ausmaß zu. In diesem Wissen hat auch sein Wahlkampf funktioniert. Er hat de facto gar nicht stattgefunden. Während sich seine gescheiterten Gegner und auch der verbliebene Kontrahent Prinz Ali bin al-Hussein mit Hochglanzbroschüren zum Fifa-Wandel positionierten, schickte Blatter einen DIN-A-4-Seite langen Brief an alle 209 Fifa-Mitglieder. Überschrift: „Together“. Programm: Alles soll bleiben wie es ist. Hauptsache, man halte in der Fußball-Familie brav zusammen.
Das streichelt die Seelen der vermeintlich Benachteiligten, deren schwache Stimme Blatter stets gestärkt hat. Und die ihm jetzt beiseite stehen. Denn das Wahlvolk von Guinea bis Guam bekam das, womit Blatter immer wuchern konnte: Eine gute Portion materielle Sicherheit für den Fußballbetrieb daheim. Beim Kongress hat heute jeder der 209 Mitgliedsverbände je eine Stimme: Afrika 54, Asien 46, Europa 53, Nord- und Mittelamerika 35, Ozeanien 11, Südamerika 10. Das wird reichen. Applaus. Applaus? Kann ein Mensch derart ignorant sein? Einer, der es wissen muss, ist Uefa-Chef Michel Platini, einst Ziehsohn von Blatter, heute ein „Freund“, der zumindest vordergründig an Blatters Demission arbeitet. Nach 40 Jahren im Weltverband und 17 davon als Chef sei Blatter mit der Fifa quasi verschmolzen. „Er hat sein Leben an die Institution gegeben, bis zu dem Punkt, an dem er sich komplett mit der Fifa identifiziert“, sagte Platini.
Freiwilliges Aufhören ist unmöglich geworden. Wie ein alternder Herrscher ohne Anbindung an die Realität marschiert Blatter durch sein Reich. Er wird von Staatschefs empfangen, er genießt das. Am, Donnerstag sprach Kremlchef Wladimir Putin für ihn und gegen die US-Behörden, die der Fifa auf den Pelz rücken. Der kalte Krieg auf dem Fußballfeld ist eröffnet. Viel Ehre für einen wie Blatter.
Bislang hat das ja alles auch gut funktioniert. Seine ärgsten Kritiker müssen befürchten, dass der Mann, der sich kürzlich selbst die Zähigkeit einer Schweizer Bergziege bescheinigte, davon kommt. Nachfragen werden abgebügelt. Nach jedem Sturm legt sich der Wind, der soviel Staub aufgewirbelt hat, dass die Fragesteller bisweilen darunter zu verschwinden scheinen. Und jene, die sein System stützen, schütteln sich kurz und tauchen wieder auf. Zu ihnen gehören die Großunternehmen, die Fifa-Sponsoren. Jene, die unfassbar vom Fußball-Boom profitieren. Wie Adidas, das 2014 mehr als zwei Milliarden Euro mit Fußball-Produkten erworben hat. WM-Trikots, Spielball, ein gigantisches Geschäft. Und keine gute Motivation, sich den Geldmaschinen-Betreiber zum Feind zu machen.
Am Donnerstag muckte das Kreditkartenunternehmen und Fifa-Sponsor Visa kurz auf, mahnte „rasche und sofortige Maßnahmen“ an, um die Probleme innerhalb der Fifa zu beheben. „Sollte die Fifa dies nicht tun, haben wir sie informiert, dass wir unser Sponsoring neu bewerten würden“, so das Unternehmen. Hyundai, Adidas und McDonalds legten leicht mahnend nach. Aber sie werden bald wieder in Reih und Glied stehen. Wie so oft. Wer einmal mit Blatter getanzt hat, mag darauf nicht mehr verzichten.