Köln-Trainer Stanislawski im Interview: "Ich möchte hier einfach mal so sitzen"

Kölns Trainer Holger Stanislawski über Loriot, Christoph Daums letzten Motivationsauftrag und den möglichen Aufstieg des Zweitligisten.

Düsseldorf. Herr Stanislawski, wenn Sie Ihren Freunden in Hamburg von Köln berichten, wie fällt das aus?

Holger Stanislawski: Hamburg ist für mich die schönste Stadt in Deutschland, dazu stehe ich als gebürtiger Hamburger. Aber Köln ist eine hochimpulsive Stadt, hier passiert unheimlich viel, ständige Unruhe, lebendig, sehr interessant — und ein guter Platz zum Arbeiten.

War Köln nach dem Misserfolg in Hoffenheim für Sie genau der richtige Schritt?

Stanislawski: Ich hatte mir ja lange genau überlegt, ob ich Köln mache oder nicht. Nach der Hoffenheim-Geschichte hatte ich eine zweimonatige Auszeit. Für mich war dann wichtig, eine Aufgabe zu übernehmen, die mich richtig fordert und mich brennend interessiert. Und dieses Kölner Projekt war nach dem Abstieg gigantisch. Wir haben hier so viel rumgerührt und gewerkelt, bevor die Saison überhaupt los ging, danach hätten wir schon wieder in Urlaub fahren können. Aber es war das Richtige. Weil es hier etwas zu tun gab. Und es ist uns gelungen, Dinge zu verändern. Wir haben Fans zurückgewonnen, junge Spieler integriert, viele weiterentwickelt — und positiv Fußball gespielt. Viele haben mir von Köln abgeraten, vor allem wegen der Medienlandschaft. Aber ich habe mir gesagt: Leicht kann jeder, schwierig ist interessant. Das hat sich bewahrheitet.

Wie haben Sie Mannschaft und Journalisten in Köln auf ihre Linie bekommen?

Stanislawski: Du musst immer bei deiner Linie bleiben, professionell und offen mit den Leuten umgehen. Man kann Spiele immer unterschiedlich beurteilen, wichtig aber ist: Respekt. Dazu kommt: Ich bin, wie ich bin. Ich bin halt Stani. Das ist so. Dieses ewige Klischee, ich sei so ein Kumpeltyp, dazu sage ich: Ich suche keine neuen Freunde und brauche sie auch nicht in der Mannschaft. Ich habe den Jungs gesagt: Entweder mögt ihr mich, oder ihr könnt mich nicht leiden, das ist mir relativ egal. Wir haben hier alle einen Job zu erledigen, und je besser wir miteinander umgehen, desto angenehmer wird es. Das gilt für die Mannschaft wie für die Journalisten.

Wie nahe darf ein Trainer tatsächlich an seiner Mannschaft sein?

Stanislawski: Ich bin ein kleiner Mosaikstein in dem ganzen Konstrukt. Deshalb versuche ich persönlich, so nahe wie möglich an der Mannschaft zu sein. Ich lass' mich von den Jungs auch mal flachsen. Sie sehen dann an meiner Körpersprache, wie weit sie gehen können. Wenn ich gar nichts mehr sage, dann wird es ganz schlimm. Ich will wissen, was der eine braucht und der andere nicht. Sich mit Adil Chihi auch mal über seinen Glauben zu unterhalten, daraus lerne ich. So verstehe ich. Das mag bei anderen Kollegen eine geringere Rolle spielen. Ich bin gerne mittendrin, und das werde ich nicht ändern.

Wieviel Leben frisst der Fußball, sind das die berühmten 24 Stunden am Tag?

Stanislawski: Ich war in so einer Phase. Zu Anfang beim FC St. Pauli, auch ganz extrem in Hoffenheim. Aber ich habe gelernt, Auszeiten zu brauchen. Ich schaue dann mal einen Film, wo es nur knallt und explodiert. Wo man mal so richtig schön nicht auf die Handlung achtet. Wie sagte Loriot? ,Ich möchte hier einfach mal so sitzen.' Das tut meinem Kopf gut. Fußball ist immer präsent in meinem Leben gewesen, und ich habe sehr viel Demut vor diesem Job. Dann stört es mich nicht, 14 oder 15 Stunden am Tag zu arbeiten. Wichtiger aber sind Familie und Gesundheit. Und dann kommt schon der Kaffee.

Hatten Sie Angst, nach dem Scheitern in Hoffenheim schon wieder vom Karussell gefallen zu sein?

Stanislawski: Gar nicht. Es gibt Dinge, um die man sich kümmern kann. Und das sind operative Dinge. Ich will den Jungs ein Anker sein, sehe mich als Speerspitze. Ich habe ihnen gesagt: Wenn ihr immer alles investiert, könnt ihr 0:5 verlieren, und ich werde vor euch stehen. Sollte ich aber das Gefühl haben, dass ihr nicht alles investiert, werdet ihr große Probleme mit mir bekommen. Der Umgang in Köln hat sich spürbar geändert.

Was spiegeln Ihnen die Spieler wider, die andere Zeiten erlebt haben?

Stanislawski: Das hier ist ein Team, der Gedanke steht über allem, und das finden sie wirklich richtig gut. Ich habe inklusive Funktionsteam 40 verschiedene Charaktere: Glaube, Herkunft, der eine ist geschieden, der andere ist 18 und hat die ersten Sorgen mit seiner Freundin. Die musst du alle unterschiedlich anfassen. Diese Arbeit mit den Menschen macht mir Spaß.

Wieviel dieser zwischenmenschlichen Arbeit ist geplant?

Stanislawski: Bei mir kommt sehr viel aus dem Bauch heraus. Das Wichtigste — und das geht bei allen taktischen Vorbereitungen und dergleichen oft verloren — ist: Zuhören. Einfach mal da sitzen und zuhören. Dieses Gewinnen müssen — davon müssen wir uns lösen. Mit anderen Menschen gemeinsam Dinge erreichen zu wollen, das muss im Vordergrund stehen.

In der Winterpause hieß es in Köln, Ziel sei der Angriff auf Platz drei. Und das nach einer bescheidenen Vorrunde, in der ein stets hyperventilierender Club trotz Mittelmaß zur Ruhe gekommen war. Haben Sie das mitgetragen?

Stanislawski: Das ist ja auch von uns gekommen. Wir hatten den ersten Schritt des Umbruchs vollzogen, waren gefühlt immer Zehnter. Und dann haben wir gemerkt, dass wir mehr erreichen können. Man muss sich dann hohe Ziele setzen, dann weiß man auch, wofür man das alles macht. Natürlich ist in Köln dann eine hohe Erwartungshaltung da. Das dann tatsächlich mit Leben zu füllen, ist schwierig gewesen. Aber wir wollten auch mal den Kopf aus dem fahrenden Zug halten. Zu viel Understatement bremst.

Und Sie haben immer geglaubt, dass das möglich ist?

Stanislawski: Der Glaube an erfolgreiche Dinge entschwindet bei mir immer erst zum Schluss. Was entscheidet sich am Freitag in Kaiserslautern? Stanislawski: Wer aktuell die bessere Tagesform hat. Von zwei Teams auf Augenhöhe, die ein hohes Ziel haben, zwei Traditionsvereine mit viel Zuspruch in Deutschland. Es entscheidet sich dort nicht, wer Dritter wird. Aber für uns kann sich da eine Ausgangsposition entwickeln, die uns vor drei Monaten niemand in Deutschland zugetraut hat — ein Verdienst der Mannschaft.

Wie groß ist die Vorfreude?

Stanislawski: Für diese Spiele ist man Fußballtrainer geworden. Diese Anspannung, diese Nervosität, dieses Unwohlsein und gleichzeitig dieses Gefühl, einen amerikanischen Kühlschrank auf den Schultern in den siebten Stock tragen zu können. Das kann keiner nachvollziehen, der nicht Profi war. Wenn es losgeht, geht noch ein kurzes Zittern durch den Körper, als müsste man auf Toilette, die aber ist zwei Kilometer entfernt. Das ist ein geiles Gefühl. Deshalb bin ich noch im Profibereich. Wenn das nicht mehr ist, höre ich auf.

Entdecken Sie bei Ihren jungen Spielern so etwas wie Angst?

Stanislawski: Keine Angst, aber spürbare Anspannung. Viele überspielen das mit Coolness, betonte Lockerheit, wollen auch witzig sein. Das ist aber auch gut. Angespannt sollen sie sein, Angst darf und muss hier keiner haben.

Wie sehr braucht der FC vielleicht doch schon jetzt die Bundesliga?

Stanislawski: Es wäre herausragend gut für die Stadt, den Verein. Und ich glaube, dass dieses Stadion das verdient hat. Ich habe alle Stadien bespielt, dieses in Köln gehört zu den Top3 in Deutschland. Die Stadt kann gut Erstligafußball ab. Finanziell wäre das wie ein Sechser im Lotto, wo hier doch inzwischen auch sehr maßvoll gewirtschaftet wird. Aber es soll etwas Positives sein. Also: Kein Druck.

Sie könnten der 2. Liga auch 2013/14 etwas abgewinnen?

Stanislawski: Wir müssen damit leben, dass auch nächstes Jahr hier wieder Zweitligafußball gespielt werden kann. Nur, weil du der 1.FC Köln bist, hast Du kein Hausrecht auf die Bundesliga. Es zählen Dankbarkeit und Demut.

Welcher Kölner Spieler hat den größten Sprung gemacht?

Stanislawski: Torwart Timo Horn hat eine herausragende Qualität für seine 19 Jahre. Christian Clemens hat wahnsinniges Potenzial. Da waren ganz viele Gespräche nötig, um das, was wir jetzt sehen, auch wirklich herauszuholen. Jonas Hector hatte niemand auf dem Schirm. Auf einem Steckbrief, den ich vor der Saison abfrage, hat er geschrieben, er würde sich freuen, wenn er irgendwann mal in der Startformation stehe. Jetzt hat der Junge 20 Spiele gemacht. Viele befruchten und entwickeln sich parallel. Ich muss auch Kevin McKenna dazu zählen, der eine herausragende Entwicklung gemacht hat . Der wusste selbst nicht, wozu er in der Lage ist (lacht).

Wenn Köln am Ende Vierter wird, dann...

Stanislawski: ...haben wir ein Ziel verpasst, das greifbar war. Aber auch dann geht die Welt für Köln nicht unter.

Wenn Köln am Ende Dritter wird, dann...

Stanislawski: ...verdienen wir durch die Relegation eine Million extra - was gut wäre für den Club. Und dann gehen wir zwei Spiele mit ganz viel Euphorie und Enthusiasmus an und wollen die — laut Christoph Daum — Weltsensation schaffen. Den Satz nehme ich ihm gar nicht übel, weil es zu Beginn der Saison eine realistische Einschätzung war. Aber der Satz treibt mich an. Ihm, der so viel Erfolge gesammelt hat, zu zeigen, dass diese junge, neu zusammengesetzte Mannschaft in der Lage ist, das zu schaffen.