Absage-Welle: Löw wieder als Experimentator gefragt
Frankfurt/Main (dpa) - Das neue Länderspieljahr beginnt, wie das alte zu Ende ging. Joachim Löw ist vor dem ersten Test der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Mittwoch in Paris doch wieder als Experimentier-Meister gefragt.
Eine regelrechte Absagewelle traf den Bundestrainer am Montag noch vor dem Treff seiner Auserwählten in Frankfurt, gerade einmal zwölf Spieler waren beim ersten Training dabei. Die Dortmunder Mario Götze, Marco Reus und Marcel Schmelzer reisten krankheitsbedingt gar nicht erst an und fallen für das kleine Jubiläumsspiel gegen den Nachbarn Frankreich am Mittwoch wie Miroslav Klose aus.
Der Stürmerstar von Lazio Rom war am Montagnachmittag der fünfte Akteur, der Löw absagen musste. Ein Teilabriss des Außenbandes im rechten Knie zwingt den Routinier zu einer wohl mehrwöchigen Pause, operiert werden muss er aber nicht, so die erste Diagnose. Wie Klose wurde auch der Leverkusener Lars Bender am Montag in München untersucht, er kann aber trotz Kniebeschwerden zum DFB-Team reisen. Dort trifft er auf seinen Zwillingsbruder Sven Bender, den Löw angesichts der vielen Absagen nachnominierte.
Im strömenden Regen versammelte der Bundestrainer am Montag nur ein Dutzend Akteure zur ersten von zwei Übungseinheiten. Die Akteure aus Dortmund (Mats Hummels, Ilkay Gündogan) und Leverkusen (Andre Schürrle, Lars Bender) sowie die Internationalen Sami Khedira und Lukas Podolski absolvierten eine Reha-Einheit im Hotel. „Wir haben ein paar Optionen weniger, aber die Mannschaft ist so stabil und gut, dass wir auch für dieses Spiel genügend Alternativen haben“, sagte Löw-Assistent Hansi Flick in einem DFB-Video.
Auch BVB-Mittelfeldmann Gündogan musste sich wegen einer Außenbanddehnung im Sprunggelenk bei der medizinischen Abteilung des DFB in Behandlung begeben. Ob er vor erwarteten 75 000 Zuschauern, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande, auflaufen kann, ist vorerst ungewiss.
Plötzlich war das Gemoser von Stammtorwart Manuel Neuer über seine einmalige Aufgabe als Reservist von Rückkehrer René Adler zweitrangig. „Ich denke, dass das eine Spiel nicht viel ändern wird an der Rollenverteilung“, bewertete sogar Adler vor seinem Comeback nach 812 Tagen die Torwart-Situation unaufgeregt.
Die sportliche Leitung des DFB-Teams bastelte vor dem Abflug in die französische Hauptstadt am Dienstag intensiv an Notlösungen für andere Positionen, bemühte sich jedoch um Normalität. „Im Februar weiß man immer, dass es Verletzungen gibt“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff und nahm gleich den Rest des Aufgebots in die Pflicht: „Wir haben gezeigt, dass wir einen guten Kader haben. Es können sich andere Spieler präsentieren.“
So wird im 25. Vergleich mit Frankreich - sieben DFB-Siegen stehen bei sechs Remis bisher elf Niederlagen entgegen - der derzeitige Bayern-Reservist Mario Gomez im Stade de France eine Chance bekommen. Nach dem Ausfall von Klose winkt ihm als einzigem echten verbliebenem Stürmer im Kader sogar noch mehr Einsatzzeit. „Ich freue mich auf das Spiel“, betonte der 27-Jährige, der zuletzt im verlorenen EM-Halbfinale 2012 das Adler-Trikot getragen hatte. Danach musste er eine monatelange Verletzungspause einlegen, die ihn in München den Stammplatz gekostet hat. „Ich bin in Tritt“, bemerkte Gomez trotzdem. Für ihn sei die Nationalmannschaft „immer etwa Schönes, egal wie die Situation im Verein ist“.
Es sei wichtig, „Mario Gomez mit seinen großen Qualitäten wieder an die Nationalmannschaft heranzuführen“, meinte der Bundestrainer, für den der Start ins Vor-WM-Jahr durch die erneuten Ausfälle noch komplizierter wird. Ohnehin sei es „nach einer längeren Pause immer schwierig einzuschätzen“, in welchem Zustand das Team und jeder Einzelne kurz nach der Winterpause schon ist. Jetzt stehen neben Holger Badstuber (Kreuzbandriss) und dem kurzfristig ausgefallenen Bastian Schweinsteiger (Adduktorenverletzung) noch Klose und gleich drei Dortmunder Profis nicht zur Verfügung.
Mittelfeldmann Götze leidet an einem viralen Infekt. Reus fällt wegen einer Adduktorenzerrung aus. Bei Schmelzer wurde eine Sprunggelenkverletzung und eine Racheninfektion diagnostiziert. Schon beim 0:0 im letzten Spiel 2012 in Amsterdam gegen die Niederlande hatten gleich acht Nationalspieler gefehlt. „Ich wollte jetzt einfach, nachdem im November einige Spieler nicht dabei waren und andere eine längere Pause hatten, den Kader etwas größer halten als es normalerweise bei einem Länderspiel der Fall ist“, bemerkte Löw zu seiner großen Zahl von 23 ursprünglich Nominierten. 19 sind für die Paris-Reise noch übrig.
An der Zielstellung für den Neubeginn nach dem durchwachsenen Länderspieljahr 2012 aber soll nicht gerüttelt werden. „Wir wollen das Spiel gut abschließen und es nutzen, die Mannschaft weiter zu entwickeln“, erklärte Bierhoff. Auch dass die DFB-Elf seit fast 78 Jahren in Frankreich nicht mehr gewonnen hat und seit fünf Jahren auf einen Sieg zum Jahresauftakt wartet, soll keine Rolle spielen.
„Die Statistik muss gebrochen werden“, sagte Bierhoff und ergänzte: „Wenn uns ein Sieg gelingen würde, wäre das ein guter moralischer Aspekt dieses Spiels.“ Der letzte Sieg gegen die „équipe tricolore“ überhaupt datiert aus dem Jahr 1987, der letzte und bislang einzige Auswärtserfolg stammt gar aus dem März 1935. „Wir werden versuchen, dieses Spiel zu gewinnen und nicht an diese Serie denken“, bemerkte Gomez.
Die voraussichtliche Aufstellung: Adler - Höwedes, Mertesacker, Hummels, Lahm - Khedira, Kroos - Müller, Özil, Schürrle - Gomez