Alles dreht sich um Kramer
Gladbachs Weltmeister rettet der Borussia in der 90. Minute das Remis gegen Stuttgart. Vorher fehlt jeder Esprit.
Mönchengladbach. Ein Weltmeister in Gladbach — das gab es zuletzt in den 70er Jahren. Wenn denn heuer schon einer da ist nach einer gefühlten Ewigkeit, dachte sich wohl auch Trainer Lucien Favre, dann kann er uns vielleicht helfen. Vor dem Spiel vom Präsidium geehrt, nach dem Liga-Auftakt im Borussia-Park erleichtert gefeiert. Christoph Kramer hat das Herz eines Kämpfers — eindrucksvoll bewiesen im WM-Finale gegen Argentinien.
Gestern rüttelte dieser vor Selbstbewusstsein momentan strotzende Tempoarbeiter im Mittelfeld seine dem Tiefschlaf verfallenen Kollegen wach — in mickrigen 20 Minuten, die er nach seiner Einwechslung spielte. Kramer erlöste die Fans in der 90. Minute mit einem platzierten Schuss aus 14 Metern ins lange Toreck zum 1:1 gegen den VfB Stuttgart.
Kurios: Kramer erzielte übrigens auch die beiden letzten Ligatore der Gladbacher in der vergangenen Spielzeit — das 3:1 gegen Mainz und das 1:3 in Wolfsburg. Ein Schelm, der behaupten würde, sein Trainer Favre könnte so etwas vergessen. „Wir haben ohne Tempo, ohne Impuls nach vorne gespielt“, kritisierte Borussen-Coach Lucien Favre, der nach Kramers Tor aber zumindest mit dem Punkt zufrieden war. „Es ist eine enorme Erleichterung, dass wir noch ausgeglichen haben.“
Nach dem Sieg im DFB-Pokal und dem Erfolg im Play-off-Spiel der Europa League in Sarajevo kann der Liga-Saisonstart der Gladbacher nach diesem Punktgewinn deshalb nicht als gelungen betrachtet werden, weil die Mannschaft beinahe alles vermissen ließen, was es für ein erfolgreiches Heimspiel braucht.
Eben keine zögerliche Haltung im Spielaufbau, eben keine Harmlosigkeit im Offensivspiel — und nicht eine solch große Passivität in der Defensive.
Das bisher so erfolgreiche Gladbacher Duo im Tore schießen — André Hahn und Branimir Hgrota markierten bisher alle sechs Pflichtspieltore — muss irgendwo auf dem Rückflug aus Sarajevo alles bisher Gezeigte im Flieger vergessen haben. Hrgota verstolperte kurz nach der Pause die größte Chance zur Führung, als er das leere Tor nicht traf, bei seinem vermeintlichen Tor (67.) stand er zudem im Abseits. André Hahn wirkte selten fahrig in seinen Aktionen, spielte eigensinnig, fast selbstverliebt. Seine Schüsse verfehlten das Tor weit. Kurios: Beim Versuch zu flanken, spielte er sich den Ball selbst ins Toraus.
Weil auch Raffael äußert zurückhaltend agierte, produzierte Gladbachs Offensive mehr Zufallschancen — ohne ernste Gefahr für das Tor der Stuttgarter. Die Gäste wirkten nach der Pokalpleite in Bochum vor Wochenfrist merklich erholt. Die VfB-Führung erzielte Maxim (51.) nach feinem Zuspiel von Gentner, als Gladbachs Abwehr sich den einzig großen Fehler im Spiel leistete.
Spätestens da muss Favre gedämmert haben, dass er noch einen Weltmeister auf der Auswechselbank sitzen hat. „Es war schön, wieder auf dem Platz zu stehen. Ich habe mich wohlgefühlt“, sagte Kramer. Sein Tor sei auch ein wenig Glück gewesen, gab er zu: „Ich wollte schon irgendwo links schießen, aber wo er reingeht, ist auch Zufall.“