Herr Krauss, Siege gegen Köln sind für die Anhänger von Borussia Mönchengladbach Höhepunkte. Sie haben als einziger Trainer der Gladbacher die ersten vier Auswärtsspiele hintereinander gegen den „Effzeh“ gewonnen.
Interview Ex-Gladbach-Trainer Bernd Krauss: „Mich hat nur ein einziges Spiel überzeugt“
Interview | Mönchengladbach · Ex-Gladbach-Trainer Bernd Krauss spricht um Interview mit unserer Redaktion über Borussia im Niemandsland, den Verlust von Leistungsträgern – und über Spieler, die nicht ans Limit gehen.
Es war der neunte Spieltag in dieser Saison, als Borussia Mönchengladbach den 1. FC Köln im Borussia-Park mit 5:2 besiegte und auf einen Europapokalplatz kletterte. Cheftrainer Daniel Farke hatte den ersten großen Härtetest in der Liga erfolgreich gegen den rheinischen Rivalen hinter sich gebracht. Seitdem ist fast ein halbes Jahr vergangen. Und das Bild hat sich gewandelt. Als Tabellenzehnter umgibt Mönchengladbach vor dem Rückspiel in Köln an diesem Sonntag (15.30 Uhr, Müngersdorf, live auf DAZN) viel Ratlosigkeit. Wir haben Bernd Krauss, den ehemaligen Erfolgscoach der Gladbacher, nach der lebhaft diskutierten Gemengelage rund um die Borussia befragt.
Bernd Krauss: Schön, dass Sie mich daran erinnert haben. Aber lang, lang ist’s her. Schon als Spieler in Gladbach wurde mir vom ersten Tag an eingeimpft, dass ein Derby-Sieg immer ein Muss ist und auf Kölner Boden umso spektakulärer. Sehr oft hat es dann auch als Spieler und Trainer funktioniert.
Nun kommt der Begegnung am Sonntag besondere Bedeutung zu. Köln läuft Gefahr, weiter abzurutschen, in Gladbach wird an Trainer und Kader herumgemäkelt. Was ist in dieser Saison noch von der Borussia zu erwarten?
Krauss: In Köln wäre ein Sieg sicherlich enorm wichtig. Es würde vorübergehend Ruhe einkehren. Entscheidend wird sein, wie die Mannschaft sich auf dem Platz präsentiert. In diesem Punkt hat das Team von Daniel Farke zuletzt oft enttäuscht und viele Wünsche offengelassen. Aus meiner Sicht ist die Saison, unabhängig vom Ergebnis in Köln, gelaufen und auch nicht mehr zu retten. Dabei hat die Mannschaft vom Leistungsvermögen eigentlich das Zeug, um einen internationalen Platz mitzuspielen.
Wie schwer ist es angesichts des Tabellenstands, die Mannschaft zu motivieren? Zumal der ein oder andere schon seinen Wechsel vor Augen hat.
Krauss: Die Spieler sind jetzt gefordert. Es gibt nur noch diesen einen Wettbewerb, die einzige Belastung. Im Sommer wird personell einiges passieren, Leistungsträger werden den Verein verlassen, neue Spieler für neue Impulse sorgen. Wer weg will, muss jetzt Top-Leistungen zeigen. Auch die Fans erwarten, dass sich die Mannschaft nicht hängen lässt, sondern an ihr Limit geht. Rennen, kämpfen, alles versuchen! Trainer Farke hat das bei seinem langjährigen Engagement auf der Insel doch alles erlebt. Das sind doch gerade im englischen Fußball immer noch wesentliche Merkmale. Darauf kommt es an, das ist das A und O. Das ist die Mannschaft auch ihren Anhängern schuldig. Sie spielen bei einem Traditionsverein. Borussia Mönchengladbach ist und bleibt etwas Besonderes.
Was speziell auffällt, ist die Wankelmütigkeit. Mal spielt sie groß auf, wie beim 3:2 Sieg gegen den FC Bayern oder dem 4:2 gegen Borussia Dortmund, dann wiederum lässt das Team alle guten Tugenden vermissen: 1:2 in Bochum, 0:1 in Augsburg, 1:4 bei Hertha.
Krauss: Mich hat, ehrlich gesagt, nur ein Spiel in dieser Saison wirklich überzeugt. Das 4:2 gegen Dortmund. Da hat alles gestimmt, das war richtig gut. Aber es geht in der Liga nicht um die außergewöhnlichen Spiele, da brauchst du als Trainer nicht viel zu sagen. Vielmehr geht es um das tägliche Brot, eben um Spiele wie gegen Mainz, Augsburg oder Bochum.
Spieler wie Bensebaini und Thuram werden im Sommer wohl wechseln. Auch Senkrechtstarter Manu Koné ist Wechselkandidat. Rücken Europapokal-Nächte in weitere Ferne?
Krauss: Das will ich so gar nicht einmal sagen. Man muss immer ehrgeizige Ziele verfolgen. Warum soll es Borussia Mönchengladbach nicht gelingen, mit frischen, neuen Kräften einen Geist zu entfachen, der Mut und Hoffnung macht? Und plötzlich schnupperst du dann eben doch vielleicht wieder an den Europapokalplätzen.
Ist das Ihr Ernst?
Krauss: Ich erzähl‘ mal, wie es damals war. Als Lothar Matthäus 1984 seinen Wechsel zu Bayern München bekanntgab, dachten alle, dass hier jetzt eine Welt in Gladbach zusammenbricht. Was passierte wirklich? In der folgenden Saison wurden wir Tabellenvierter. Es geht immer um Entwicklung, um Geschlossenheit, um Kompaktheit, um Charakter und Mentalität. Auch für Sportdirektor Roland Virkus ist die nahe Zukunft eine große Herausforderung. Vieles ist unklar. Was kann sich Gladbach auf dem Transfermarkt erlauben? Ein Segen ist, dass der Verein trotz erheblicher finanzieller Einbußen wirtschaftlich gesund ist. Die Werte sind sichtbar, der Stadionkomplex, in Eigenregie entstanden, das ist ein echtes Pfund.