Borussia Mönchengladbach Flitterwochen auf Ginters Art
Am Dienstag nominiert Bundestrainer Jogi Löw den WM-Kader. Matthias Ginter will dabei sein. Obwohl er bald heiratet. Die Konkurrenz für den Gladbacher ist groß.
Mönchengladbach. Bis zum Sonntag haben die Artisten von Flic Flac mit ihrem Zelt am Borussia-Park in Mönchengladbach Station gemacht. Dem schwarz-gelben Fußball-Zirkus ist Matthias Ginter mit seinem Wechsel im Sommer 2017 von Dortmund an den Niederrhein entronnen. Nach nun 34 Spieltagen möchte der Stammspieler ab dem 17. Juni in der Manege des Weltfußballs überzeugen — als Innenverteidiger Nummer Vier hinter den gesetzten Bayern-Spielern Hummels, Boateng und Süle.
Ginter macht sich große Hoffnungen, nicht nur im erweiterten Aufgebot für die WM zu stehen, das Bundestrainer Joachim Löw am Dienstag im Dortmunder Fußballmuseum benennt, sondern auch zu den 23 Auserwählten zu gehören, die die Mission Titelverteidigung erfüllen sollen. Zwischen 26 und 29 Kicker dürfte Löw zunächst mit ins Trainingslager nach Südtirol nehmen.
Seit seinem Nationalelf-Debüt im März 2014 gegen Chile hat der heute 24 Jahre alte Ginter 17 Spiele für den DFB bestritten. Beim WM-Triumph in Brasilien blieb er ohne Einsatzminute. „2014 bin ich als kleiner Junge aus Freiburg auf den letzten Drücker mitgekommen. Das war auch für meine persönliche Entwicklung sehr wichtig“, erinnert sich Ginter. Danach ging er zum BVB, wurde DFB-Pokalsieger, konnte sich aber auf keiner Position im Defensiv-Verbund als Stammspieler aufdrängen. Für die Gladbacher Rekord-Ablösesumme von 17 Millionen Euro erwarb Sportdirektor Max Eberl im Sommer 2017 die Dienste des Defensiv-Allrounders. „Damals hatten wir die Überlegung, dass ich mich auf der Innenverteidiger-Position zeigen soll — auch im Hinblick auf die Nationalmannschaft.“ Dieser Gedanke sei „voll aufgegangen“, findet Ginter. Und er sagt: Jetzt auf einen Anruf von Jogi Löw zu warten, sei ein bisschen wie die Zeit nach einer geschriebenen Klausur. „Ich habe meinen Beitrag geleistet. Nun muss der Bundestrainer entscheiden.“
Seine direkten Konkurrenten um einen Platz im Kader spielen auf der Insel. Antonio Rüdiger zum Beispiel, Stammspieler beim FC Chelsea. Der 25 Jahre alte ehemalige Stuttgarter (23 Länderspiele) hat sich gut entwickelt, ist obendrein ein Spieler, den Löw immer protegiert hat. Nur sein Hang zur Leichtsinnigkeit hat ihm bislang größere Ehren verwehrt. Für Rüdiger wäre es das erste große Turnier. Außen vor scheint derzeit Shkodran Mustafi (26) vom FC Arsenal zu sein. Die Gunners haben den Einzug in die Champions League deutlich verpasst. Im Gespräch mit „Sportbild“ erklärt Mustafi (20 Länderspiele), dass er sich auf eine WM-Nominierung kaum Hoffnungen macht. Und da ist noch Emre Can vom FC Liverpool. Aufgrund einer hartnäckigen Rückenverletzung hat der 24-jährige Stammspieler aber seit Mitte März kein Spiel mehr gemacht. Auch das Champions-League-Finale in Kiew gegen Real Madrid am 26. Mai wird der defensive Mittelfeldmann, der bei Löw schon als Rechtsverteidiger auflief (20 Länderspiele, EM-Teilnahme 2016), wohl verpassen.
Eines haben Ginter und seine drei Kontrahenten gemeinsam: Zusammen gewannen sie 2017 die Mini-WM in Russland. „Der Confed-Cup im letzten Jahr hat mir sehr dabei geholfen, mich zu zeigen“, sagt Ginter. Geringe Außenseiterchancen dürfte noch der Leverkusener Jonathan Tah (3 Länderspiele) haben. Bei der EM vor zwei Jahren in Frankreich rückte der 22-Jährige kurzfristig für den verletzten Rüdiger in den Kader nach. „Ich hatte bisher das Glück, dass ich zu den 23 gehört habe — oder erst gar nicht nominiert worden bin“, sagt Ginter, der die EM 2016 nur vorm Fernseher verfolgte. Doch in dieser Saison spricht vieles für ihn: Mit einer Zweikampfquote von 63 Prozent zählt er zu den stärksten deutschen Verteidigern der Liga, handelte sich in 34 Spielen auch nur zwei Gelbe Karten ein. Insbesondere in der Luft entscheidet Ginter viele Zweikämpfe für sich (65 Prozent). Seine Passquote von 90 Prozent beeindruckt ligaweit und wird lediglich von seinem Gladbacher Teamkollegen Denis Zakaria und dem Leverkusener Sven Bender getoppt (91 Prozent). Und Torgefahr bringt der 1,88 Meter große Ginter auch mit: Er erzielte fünf Tore, war hinter dem Brasilianer Naldo (7 Tore) der zweittorgefährlichste Abwehrspieler der Liga.
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Ginters Abwehrarbeit bei Borussia Mönchengladbach nicht ausreichte, um weniger als 52 Gegentore zu kassieren — zum Vergleich: Absteiger HSV fing 53 Gegentore. Auch deshalb übt sich der Nationalspieler mit der Nummer Vier in Bescheidenheit, Ich-AG’s seien absolut fehl am Platz: „Ich werde dem Bundestrainer keine Bewerbung schreiben müssen, um ihm zu erklären, was ich gut kann.“ Ginter erhofft sich einen kleinen Vorteil darin, dass er in der Lage ist, alle Defensivposition zu bekleiden, eben auch als Außenverteidiger in Frage zu kommen — oder als Sechser. „Ich bin jedoch keiner, der große Ansagen an Mannschaftskollegen macht.“ Alle 23 Nominierten müssten sich, sagt er, dem Team-Gedanken unterordnen. Ginter selbst ordnet sich zunächst mal ein: Am 19. Mai heiratet er seine Verlobte Christina Dirr. Die „Flitterwochen“ müssen dann in Moskau steigen — auf Ginters Art.