Braunschweig bejubelt Derbysieg: „Bock umgestoßen“

Wolfsburg (dpa) - Nach dem ersten Bundesligasieg seit 10 353 Tagen musste Torsten Lieberknecht noch einmal aus den Katakomben der Wolfsburger VW-Arena, um sich feiern zu lassen. Für die Fans von Eintracht Braunschweig war klar, bei wem sie sich für das endgültige „Ankommen“ zu bedanken hatten.

Nachdem die Mannschaft nach dem 2:0-Derbysieg beim VfL Wolfsburg abgefeiert war, bekam der Trainer des Aufsteigers noch seine ganz persönlichen Ovationen.

„Der Trainer hat uns richtig gepusht“, bekannte Braunschweigs Mittelfeldläufer Norman Theuerkauf nach dem ersten Dreier der Eintracht am 8. Spieltag. Gemeint war Lieberknechts Auftritt vor einer Woche nach dem 0:4 gegen den VfB Stuttgart, als der Coach niedergeschlagen und scheinbar ratlos mit verwirrenden Aussagen („Ich bin keiner, der weglaufen möchte, aber trotzdem komme ich ins Grübeln“) Spekulationen über seinen Rücktritt ausgelöst hatte.

Dies hatte eine beispiellose Solidaraktion der Fans nach sich gezogen. Mit rund 500 Anhängern waren sie in der vergangenen Woche zum Eintracht-Training gekommen, um Mannschaft und Trainer lautstark zu feiern. Und das obwohl der bis Samstag sieglose Aufsteiger den schlechtesten Saisonstart eines Bundesligisten überhaupt hingelegt hatte. „Das war eine optimale Motivation für unseren Gegner“, lobte Wolfsburg-Coach Dieter Hecking mit finsterer Miene seinen Kollegen.

Nicht nur Hecking unterstellte Lieberknecht eine bewusste Aktion, um noch einmal ein paar Prozent mehr aus seiner spielerisch limitierten und in den ersten sieben Spielen oft überforderten Mannschaft herauszuholen. Lieberknecht wies das zwar erneut zurück, lieferte mit seiner Koketterie aber auch selbst Anhaltspunkte für diese Theorie. „Diese Woche hat sich das Grübeln gelohnt“, sagte Lieberknecht spitzbübisch in Anspielung auf seine Äußerungen nach dem Stuttgart-Spiel. Und fügte hinzu: „Dass ich damit Emotionen getroffen habe, war nicht bewusst. Ich habe aber anscheinend etwas erreicht, das heute erfolgreich war.“

Ausgerechnet im Derby wurden noch einmal ein paar Prozentpunkte Leistung mehr als sonst freigelegt. Die Gäste feierten den späten ersten Saisonsieg nach Toren von Karim Bellarabi (31. Minute) und Domi Kumbela (86.) ausgelassen als Meilenstein. „Das ist absolut atemberaubend“, stammelte Offensivakteur Mirko Boland: „Das war sehr emotional für die Stadt, die Fans, die ganze Region.“

Wie groß die Erleichterung bei den Anhängern, die von den VfL-Fans mit reichlich Häme begrüßt worden waren, war, zeigte sich nach Spielende, als sich alle Emotionen orkanartig entluden. Viele Fans weinten hemmungslos, feierten lautstark und riefen so lange, bis Lieberknecht noch einmal aus der Kabine vor die Kurve trat.

Es schien, als habe für den zuvor so glücklosen Aufsteiger die Saison nun endlich erst begonnen. „Wie haben den Bock umgestoßen“, sagte Theuerkauf und auch Lieberknecht war nach seinem riskanten Weckruf einfach nur erleichtert. „Die Mannschaft hat gesehen, dass es durchaus eine Berechtigung hat, dass wir in der Bundesliga sind“, ergänzte der Coach zum Abschluss einer bemerkenswerten Woche.

Sollte die Eintracht am Ende den Klassenverbleib schaffen, dürfte der Sieg in Wolfsburg als Saison-Wendepunkt gelten. „Das ist ein besonderer Tag für den Verein“, meinte Torschütze Bellarabi und Boland sagte in Bezug auf Lieberknecht: „Wir wissen, was wir an ihm haben.“ Noch so ein Hinweis auf eine sehr wohl bewusste Aktion Lieberknechts als Psycho-Kniff vor dem Derby.